Betreff: Vereint im Islam 2018. Ein paar Adnoten

Gestern waren wir – ich, mein bester Freund, der geschätzte Bruder Jens Yahya Ranft und ein ziemlich bekannter Prediger, der allgemeinhin dem salafitischen Milieu zugerechnet wird– zum ersten Mal auf dem „Vereint im Islam“-Event in Hamburg-Wilhelmsburg. Was habe ich mir vor dieser Veranstaltung Gedanken gemacht, gewisse Vorurteile geradezu kultiviert: Bestimmt erwartet uns ein Kirchentag 2.0, eine Veranstaltung also, welche Friede Freude Eierkuchen zelebriert, ohne wirklichem Inhalt, die Relativierung unstrittiger Wahrheitsansprüche und mit ausschließlichen Verlautbarungen der political correctness.

Doch wir waren – kurz und knapp gesagt – von dieser muslimischen Konferenz durchaus angetan. Ohne politische Erklärungen ging es freilich nicht: Benjamin Idriz, seines Zeichens bekannter bayerischer Imam und beliebter Repräsentant des hiesigen Interreligiösen Dialogs, trat ganz in der Tradition eines Speakers auf. Er treffe bald Bundeskanzlerin Merkel und den „Mutter aller Probleme“ Heimatminister Horst Seehofer. Er werde ihnen sein neues Buch über den Propheten (s.) höchstpersönlich überreichen. Kontakt mit dem Ex-Papst Benedikt XVI. und dem jetzigen Papst Franziskus habe er sowieso!

Ganz anders die Referentin Dr. Phil. Silvia Horsch, welche unter dem Titel „Wie mit Islamfeindlichkeit umgehen? Eine spirituelle Perspektive“ referierte. Hier ging es nämlich in die Tiefe. Mit der Untermauerung von Koranversen und gewichtigen Aussprüchen unseres Propheten Muhammad (s.) glänzte ihr Referat ganz in der Tradition einer profunden Universitätsvorlesung; natürlich mit einer dem Event gemäßen inspirierenden und persönlichen Note. „Niemals aufgeben“ war schließlich ihr Motto für die Muslime in unseren leidigen und schwierigen Zeiten. Niemals sich auf das Niveau der Islamhasser und Rassisten begeben!

Der bekannte Prediger Sheikh Ferid Heider war an diesem Tag auch mit von der Partie. Zu später Stunde hielt er eine Rede mit dem Thema „Die beste Gemeinschaft, die für die Menschen hervorgebracht worden – zwischen Realität und Anspruch“. Was uns bei diesem Vortrag insbesondere hängen blieb, war seine (sinngemäß wiedergegebene) Aussage: „Hier sind Sufis, ganz normale Muslime und auch Geschwister die eine gewisse Nähe zum Salafismus nicht abstreiten! Schön ist, dass wir zusammen kommen und miteinander sprechen. Wir sind eine Ummah!“. Dieses erlebten wir auch in der Praxis an diesem Tag: Es wurde respektvoll miteinander umgegangen. – trotz denkbar größter Unterschiede in den Auffassungen der Religion des Islams.

Am Ende dieses ereignisreichen Tages – mittlerweile als einziger unserer kleinen Clique übriggeblieben – ging ich alleine zum Bahnhof des multikulturellen Stadtteils Wilhelmsburg. Ich musste nun noch einige Zeit mit dem Zug in Richtung meiner Zuhauses fahren. In mir tat sich wieder einmal ein großes, banges Gefühl der Befremdung auf. Betrunkene Männer torkelten durch die Gegend, denkbar freizügige Frauen –jeglichen Alters! – waren auf dem Weg zu den Amüsiermeilen Hamburgs. Eine Scham der dargebotenen Peinlichkeiten offenbarte sich mir. Schwestern, die ebenso beim „Vereint im Islam“-Event waren, wurden von einem Betrunkenen angemacht: „Na, ihr wollt bestimmt jetzt Party machen!“, war seine dümmliche Aussage. Zum Glück ließ er schnell ab und mir kam in der Bahn, bei der Betrachtung der Menschen, der spontane Gedanke von einer Ausführung von Muhammad Asad, die er in seinem Buch „Der Weg nach Mekka“ formuliert hatte:

„Eines Tages im September 1926 fuhren Elsa und ich mit der Berliner Untergrundbahn, und zwar in einem Abteil zweiter Klasse. Uns gegenüber saß ein gut gekleideter Mann – offenbar ein wohlhabender Geschäftsmann- mit einer schönen Aktenmappe auf dem Schoß und einem Brillantring am Finger. Es ging mir durch den Sinn, wie sehr die behäbige Erscheinung dieses Mannes in das Bild der wirtschaftlichen Blüte hinein paßte, das einem in jenen Tagen überall in Europa begegnete: eine Blüte, die umso auffallender war, als sie unmittelbar auf die Jahre der Inflation folgte, da das Wirtschaftsleben auf dem Kopf gestanden hatte und man fast nur schäbig gekleideten Menschen begegnet war. Nunmehr waren die meisten Menschen gut angezogen und wohlgenährt, und so stellte der Mann mir gegenüber keine Ausnahme dar.

Als ich jedoch auf sein Gesicht blickte, da kam es mir vor, als sei dieser Mensch nicht glücklich. Er schien irgendwie bedrückt zu sein – und nicht nur bedrückt, sondern ausgesprochen unglücklich: seine Augen starrten leer vor sich hin und die Mundwinkel waren scharf eingezogen, wie im Schmerz – aber nicht in körperlichem Schmerz. Da ich nicht aufdringlich sein wollte, wandte ich meine Augen ab und sah mir die elegante Dame neben ihm an. Auch sie trug einen sonderbar unglücklichen Ausdruck im Gesicht, als dachte sie an irgend etwas, das ihr Pein bereitete; um ihre Lippen lag ein gefrorenes, zweifellos gewohnheitsmäßiges Lächeln, das einen wie verhaltenes Weinen anmutete. Und dann schaute ich mir die anderen Gesichter im Abteil an – Gesichter, die ausnahmslos gut angezogenen, gut genährten Menschen gehörten: und fast in jedem von ihnen lag ein Ausdruck verborgenen Leidens, so verborgen, daß der Besitzer oder die Besitzerin des Gesichts davon keine Ahnung zu haben schien. Das war aber merkwürdig. Ich hatte noch nie soviel leidende Gesichter beisammen gesehen – oder kam es vielleicht nur davon, daß ich noch nie danach gesucht hatte!

Der Eindruck war so stark, daß ich zu Elsa davon sprach; und nun begann auch sie sich um zusehen und die Gesichter ringsherum mit dem sorgsamen Blick der Malerin zu beschauen, der die Beobachtung menschlicher Gesichtszüge schon zur Gewohnheit geworden war. Dann wandte sie sich erstaunt zu mir und sagte: »Du hast recht. Wieso ist mir das nicht schon früher aufgefallen! Sie sehen alle aus, als ob sie Höllenqualen litten – und dabei lachen sie und reden und sind auf ihre Hüte und Handschuhe bedacht … ob sie wohl selber wissen, was in ihnen vorgeht?« Ich war sicher, daß sie es nicht wußten – denn wie wäre es ihnen sonst möglich gewesen, ihr Leben weiterhin zu vergeuden und nur dem Verlangen nachzujagen, ihre äußere Lebenshaltung zu verbessern, ohne auch nur im geringsten an irgendwelche bindenden Wahrheiten zu glauben, ohne einen anderen Wunsch zu haben, als mehr Bequemlichkeiten zu erlangen, mehr Zerstreuungen, und vielleicht auch mehr Macht…?

(Der Weg nach Mekka, S.364f.)

#VereintimIslam

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Über Nando-Dragan Nuruddin Augener

Nuruddin, Jahrgang 1989, machte 2010 sein Abitur und lebt in Hamburg. Studium der Erziehungswissenschaft und der Soziologie an der Universität Hamburg (2011-2014). Arbeitet zurzeit als Bürokaufmann. Muslim seit September 2016. Kontakt: nd.augener@web.de

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