Stefan Weidner über die Trennung von Politik und Religion

„Die Vermengung von Religion und Politik, die der Westen heute dem Islam vorwirft und ihm pauschal unterstellt, ist nicht nur auch ein europäisches Problem gewesen, in vormoderner Zeit war sie auch nur ein europäisches Problem! Die Glaubwürdigkeitskrise, in welche sie die Religion in Europa, also das Christentum, gestürzt hat, ist mehr als nachvollziehbar. Es ist aber, so kränkend diese Erkenntnis für den Westen vielleicht ist, deswegen noch lange keine Glaubwürdigkeitskrise anderer Religionen, etwa des Judentums, des Islams oder asiatischer Glaubenssysteme.

Das Antidot namens Aufklärung und Naturgesetzlichkeitsglaube, das gegen diese Krise in Europa vielleicht gewirkt hat – wenn auch unter enormen Kosten – , kann deswegen schwerlich anderswo sinnvoll eingesetzt werden. Wird dies dennoch versucht, wie es seit der Zeit des Kolonialismus bis heute der Fall ist, wirkt das Antidot nicht als Heilmittel, sondern als pures Gift und löst genau die Krankheiten aus, dies es in Europa mehr oder weniger erfolgreich bekämpft hat: die Politisierung der Religion.

Die Krise des heutigen Islams ist das traurige Resultat und hat inzwischen auch dort zu einer Glaubwürdigkeitskrise geführt, wie sie sich etwa in den muslimischen Islamkritikern niederschlägt. So nachvollziehbar diese Kritik angesichts der herrschenden Lage scheint, sie ist die Kritik an einem Islam, der die europäischen Pillen geschluckt hat und seither wenig mehr ist als die Reinkarnation des kranken, in Religionskämpfen darniederliegenden Europas der Vergangenheit.“

– Stefan Weidner (Jenseits des Westens. Für ein neues kosmopolitisches Denken, S.217.)

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Über Nando-Dragan Nuruddin Augener

Nuruddin, Jahrgang 1989, machte 2010 sein Abitur und lebt in Hamburg. Studium der Erziehungswissenschaft und der Soziologie an der Universität Hamburg (2011-2014). Arbeitet zurzeit als Bürokaufmann. Muslim seit September 2016. Kontakt: nd.augener@web.de

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