Freiheit oder Sicherheit in Zeiten des „Terrors“?

von Yahya ibn Rainer

Dass weltweit auf einmal „Terroristen“ festgenommen werden, bevor sie überhaupt terroristisch tätig werden konnten, mag auf Anhieb den meisten Bürgern ganz recht sein. Immerhin werden so möglicherweise Menschenleben gerettet.

Doch wie es dazu kommen kann, dass der Staat schon fast Minority-Report-mäßig kriminelle Handlungen im Voraus zu verhindern weiß, darüber macht sich anscheinend niemand wirklich Gedanken. Der Grad an Überwachung muss jedoch gigantische Ausmaße angenommen haben, denn man kann davon ausgehen, dass die „Terroristen“ zumindest versucht sind einigermaßen konspirativ zu handeln.

Dem entgegen lässt sich natürlich das Argument in Stellung bringen, dass die Überwachungsbehörden höchstwahrscheinlich nicht die gesamte Bevölkerung in diesem Ausmaß überwachen, sondern nur solche Personenkreise, die sie als gefährlich einschätzen. Dass kann man zwar nicht mit Sicherheit behaupten, aber man hofft es wohl inständig, und wenn ich ehrlich bin, kann man sich dessen wohl auch (noch) gewiss sein.

Wir haben hier also einen mehrheitlichen Bevölkerungsanteil, der sich – aufgrund seiner Herkunft, Religionszugehörigkeit oder politischen Unauffälligkeit – recht sicher sein kann, nicht total überwacht zu werden. Dass die Anderen, die eben nicht diesen Vorteil für sich beanspruchen können (sondern eine verdächtige Herkunft, problematische Religionszugehörigkeit oder unbequeme Auffassung von Politik haben), deshalb dieses schlimme Los ertragen müssen, kann dem, der davor sicher scheint, erst einmal egal sein.

Und nicht nur das. Denn irgendwie haben es die Anderen ja auch verdient. Wieso leben sie auch hier, bekennen sich zu diesem bestimmten Glauben oder pflegen diese unangepasste politische Meinung, obwohl es offiziell als verdächtig gilt?

Dass der Überwachungsapparat – und somit der Staat – diese Fähigkeiten der totalen Überwachung hat und beherrscht, das wird im Rausch der Angepasstheit und Selbstzufriedenheit allzu gern ausgeblendet. Dieses soziologische Phänomen kann man ganz gut mit dem Konzept der Zeitpräferenz erklären, die in der Volkswirtschaftslehre Anwendung findet.

Das Konzept jetzt in aller Ausführlichkeit darzulegen, würde sicher den Rahmen dieses Beitrags sprengen und ggf. auch den einen oder anderen Leser überfordern (auch ich brauchte sehr lange um es wirklich zu verstehen). Aber sehr verkürzt dargestellt, veranschaulicht es letztendlich die Neigung des Menschen, seine Versorgung mit möglichst wenig Kraft- und geringem Zeitaufwand zu gewährleisten.

Der Ökonom und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe nutzte in seinem Buch „Demokratie – Der Gott der keiner ist“ diese Konzeption, um bereits im ersten Kapitel den moralischen und wirtschaftlichen Schaden eines demokratischen Wohlfahrtsstaates zu veranschaulichen.

Der Mensch, der dieser Neigung nachgeht und sich darauf konzentriert möglichst schnell und leicht seine Versorgung zu sichern, gilt als gegenwartsorientiert, seine Einnahmen sind zumeist recht überschaubar und decken gerade einmal den aktuellen Bedarf.

Eine Akkumulation (Vermehrung) der Einnahmen und somit ein Erwirtschaften von Wohlstand, benötigt jedoch eine zukunftsorientierte Handlungsweise, was dazu führt, dass man den Konsum einschränken (sparen und investieren)  und seine Neigung zum schnell und leicht verdienten Geld aufgeben muss.

Die Schlüssigkeit dieses Konzepts auf den demokratischen Wohlfahrtsstaat bezogen leuchtet ein, sobald man die Masse an Transferleistungsempfängern sieht, die freiwillig lieber ohne jegliche Arbeitsleistung von Hartz4 leben (wollen), als für das gleiche Entgelt arbeiten zu gehen.

Aber auch auf meine oben genannte Problematik mit der Überwachung ist dieses Konzept eingeschränkt anwendbar. Denn derjenige, der sich durch die gegenwärtig Sicherheitslage verführen lässt, weil er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht selbst das Ziel der dazugehörigen Totalüberwachung und Repression ist, lebt mit seinem Bedürfnis nach eigener Sicherheit (ohne dafür ein Opfer zu bringen) gegenwartsorientiert.

Außer Acht wird dabei jedoch gelassen, dass diese Fähigkeit des Staates, wenn sie einmal möglich und legitimiert wurde, sich in Zukunft auch gegen andere richten kann, also quasi auch gegen denjenigen, der heute noch davor gefeit ist.

Waren wir in den letzten 200 Jahren in Europa nicht Zeuge, wie schnell Systeme, Ideologien und Regierungen wechseln können? Doch hat die Geschichte gezeigt, dass die wenigsten neuen Herren ihr Werkzeug – nämlich den Staat und seine Gewalten – freiwillig wieder entwaffnen, sondern sie übernehmen allzu gern seine erlangten Fähigkeiten, und sei es nur zur Wahrung der allgemeinen Sicherheit.

Wer schlau handeln möchte, der handelt zukunftsorientiert, der sorgt lieber für seine eigene Freiheit in Zukunft, als für gegenwärtige Sicherheit, für die andere teuer bezahlen müssen.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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