Gegen Sarrazin schießen und Pierre Vogel treffen || Die haltlosen Vorwürfe des Eren Güvercin

«Das, was islamische Gelehrte in einer über 1.400-jährigen Wissenstradition umfassend erforscht und niedergeschrieben haben, wird von Vogel und Konsorten als nichtig angesehen.»

– Eren Güvercin (in „Lesen wie ein Salafist“, auf freitag.de)

„Lesen wie ein Salafist“ ist der Titel einer Art Buchbesprechung des Journalisten Eren Güvercin auf freitag.de. Besprochen wird hier nicht etwa ein Buch von Pierre Vogel oder eines anderen „Salafisten“, sondern das neueste anti-islamische Pamphlet aus der Feder des Thilo Sarrazin, „Feindliche Übernahme || Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“.

Das obige Zitat stammt direkt aus dem ersten Absatz des Artikels und hat mich wirklich sauer gemacht.

Warum schafft man es in diesem Milieu nicht, einen lupenreinen Islamhasser wie Sarrazin zu deklassieren, ohne dabei im selben Zuge auch gegen Glaubensgeschwister auszuteilen?

«Den „wahren Islam“ und das, worauf es ankommt, packen sie in einen Clip von 30 Sekunden.»,

schreibt Güvervin weiter, womit er auf ein kurzes Video hinweist, dass u.a. unter dem Titel Islam in 30 Sekunden auf YouTube kursiert. Dabei erweckt er dadurch, dass er „wahren Islam“ in Anführungszeichen setzt, den Eindruck, als wäre es ein Zitat und Pierre Vogel hätte es somit im Video tatsächlich in dieser Form gesagt. Stimmt aber nicht.

In Anbetracht dessen, dass im Laufe des Artikels zahlreiche weitere haltlose Behauptungen gegen Pierre Vogel, seine „Konsorten“ und den „Salafismus“ an und für sich aufgestellt werden (bspw. das keine klassische Tafsir-Exegese erlaubt sei, besonders Asbāb an-nuzūl betreffend), hat sich Güvercin anscheinend kein Bild davon gemacht, was die „über 1.400-jährige Wissenstradition“ der muslimischen Gelehrsamkeit zum Gegenstand der üblen Nachrede (Ghiba) zu sagen hatte. Der Gesandte Allahs – Allah segne ihn und gewähre ihm Heil – sagte dereinst zu seinen Gefährten:

«Wisst ihr was üble Nachrede (Ghiba) ist? […] Dass du von deinem Bruder erwähnst, was ihm zuwider ist.» Sie fragten «Und was, wenn es stimmt?» «Wenn stimmt, was du sagtest, so war es fürwahr üble Nachrede. Und falls nicht, so hast du ihn fürwahr verleumdet.»

– bei Sahih Muslim (2589)

Der erste Absatz von Güvercins Artikel spiegelt m. E. die Überheblichkeit des bio-muslimischen Intellektuellen gegenüber dem einfachen Konvertiten wieder. Der Intellektuelle kann auf eine Lebenszeit der Lektüre und des Studiums zurückgreifen und sein „Islam“ umfasst trotzdem nicht ansatzweise den Stand einer „über 1.400-jährigen Wissenstradition“.

Wir Konvertiten hingegen wollen den Islam annehmen und nicht erst die Lebenspanne eines Eren Güvercin hinter uns bringen, um dann trotz alledem nicht den 1.400-Jahre-Gelehrtentradition-Super-Islam formulieren zu können.

Wir (unwissenden Konvertiten) brauchen, um den Islam anzunehmen, notgedrungen erst einmal ein kompaktes Wissen. Dies und nichts anderes ist eine 30-Sekunden-Islam-Darlegung. Ich denke aber, dass der Herr Güvercin das durchaus weiß.

Ich kann mich bei alledem dem Eindruck nicht erwehren, dass sich hier ein Muslim auf Kosten anderer Muslime öffentlich zu profilieren versucht, immerhin bewegt sich Güvercin (im Dunstkreis der Murabitun-Sekte) selbst in einem eindeutig vorbelasteten Milieu.

Im Übrigen: Jeder Muslim bewegt sich notgedrungen selektiv durch die 1.400-jährige Wissenstradition der muslimischen Gelehrsamkeit. Niemand kann sämtliche Urteile kennen, befürworten, geschweige denn umsetzen, auch ein Eren Güvercin nicht.

Was Güvercin und Vogel letztendlich mit gewisser Wahrscheinlichkeit eint, ist ein ausgeprägtes Unverständnis dafür, dass der jeweils andere nicht dieselbe Selektion vornimmt wie man selbst. Dies ist jedoch ein Makel des Gläubigen, der sich durch die gesamte muslimische Geschichte zieht und leider auch unter großen Gelehrten manches mal zu großen und unschönen Auseinandersetzungen führte.

Möge Allah unsere Herzen weiten.

 

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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