H. H. Frank über den Sufismus (2. Teil)

Hier nun zum 2. Teil der Abschrift aus dem Buch Das Abendland und das Morgenland - Eine Zwischenreichbetrachtung von Herman Heinrich Frank, dass 1901 im Leipziger Hermann Seeman Nachfolger Verlag publiziert wurde. 
In diesem Abschnitt schweift H. H. Frank ein wenig ab und berichtet von einer Sekte die aus dem schiitischen Sufismus hervorgegangen ist (Babismus) und in der heutigen Ausprägung (Baha'i) als eigenständige Religionsgemeinschaft außerhalb des Islams betrachtet wird.

„Da glauben wir nun endlich Boden unter den Füßen zu haben und keine anderen Schwierigkeiten mehr zu finden, als eine gehörige Durchforschung dieser Quellen. Aber leider hat sich auch hiermit keine einheitliche Meinung herausgebildet, indem die Derwische bald als eine religiöse, bald eine philosophische Sekte, als Kommunisten, Sozialisten, Nihilisten, Anarchisten usw. sich auszuweisen scheinen.

Sie bedienen sich einer dunklen, symbolischen oder allegorischen Sprache und man nennt ihr System gemeiniglich eine Religionsmystik. Darin liegt das Eingeständnis, daß ihre Lehren in Dunkel eingehüllt sind; oder, wie die Rationalisten aller Zeiten sagen werden: Da die Sache keinen klaren Gedanken enthält, so kann man auch nichts klares oder vernünftiges darüber sagen.

Da sind auch keine klaren Abgrenzungen mehr möglich. Es hindert nichts die Assassinensekte des „Alten vom Berge“ hierher zu rechnen, oder vor allem die berühmte Sekte der persischen Babi. Es ist gewiß zutreffend, wenn man diese letztere Sekte als Kommunisten oder Anarchisten bezeichnet.

Sechs siebentel der Einwohner Persiens, Männer wie Frauen, soll dieser Sekte angehören, deren Bekenner direkt gegen Staat, Oberhaupt, Religion vorgingen und von der Regierungsgewalt mit so unbeschreiblicher Grausamkeit zu Tode befördert wurden, daß sich die Feder sträubt, diese Vorgänge zu beschreiben, die sich in den fünfziger Jahren auf den Straßen und Plätzen Teherans sowie vieler anderer Städte abspielten.

Doch muß hervorgehoben werden, daß unter diesen Opfern eine durch ihre Lieblichkeit berühmte Perserin Gurret-ul-Ain während ihrer grauenvollen Hinrichtung die größte Standhaftigkeit bewahrte. Das Volk sah achselzuckend zu. Solcher Mut muß ein strkes ideales Rückgrat haben.

Über den gegenwärtigen Stand dieser Sekte, deren berühmtes Oberhaupt (Kutb) in Akka vor einigen Jahren verstarb, ist schwer nähere Aufklärung zu erhalten, es sei denn unter der Zusicherung vorsichtiger Bewahrung. Diese Sektierer glauben wohl durch äußeres Geheimhalten der Sache besser zu nützen, als durch furchtloses Bekennen. Zu denken gibt, daß diese Sekte eine Verfolgung zu erleiden hatte, der keine Derwischgemeinschaft je ausgesetzt gewesen ist.

Die Obrigkeit muß also sichere Gründe für die Annahme haben, daß die Derwische entweder nichts mit den Babi gemein haben, oder sich die letzteren gerade durch die aktuelle gegen das Bestehen des Staates gerichtete Spitze von ihnen unterscheiden; denn daß die Derwische dem Staate und der Gesellschaft nichts leisten, vielmehr aus aller Gemeinschaft ganz heraustreten, weil sie diese doch offenbar, gleich den Babis verwerfen, dies ist ganz gewiß.

Trotz der oben eingestandenen Fruchtlosigkeit, das aufklären zu wollen, was sich durch die Tatsache der verschiedenen Deutbarkeit, der Mannigfaltigkeit darunter begriffener Erscheinungen, der inneren Wahrnehmung durch den Namen und mancherlei Zeugnisse als Religionsmystik herausstellt, müssen wir nun doch den einheimischen Quellen nähertreten.“

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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