Materialien zur Geschichte der Wahaby – 06 – Militärangelegenheiten der Wahaby (2/3)

Es ist leicht einzusehen, dass die Wahaby sich gemeiniglich im Zustande des Krieges befinden. Saud pflegte jedes Jahr zwei, oder drei große Kriegszüge zu machen. Die Nachbarschaft von Basra (reich an Vieh und Datteln), die Ufer des Schat el Arab und des Euphrat bis hinauf nach Anah waren die Gegenden, in welche er seine jährlichen Überfälle richtete. Seine Truppen überschritten sogar den Euphrat und verbreiteten Schrecken in Mesopotamien; auch an der südlichen Grenze seines Gebietes boten die noch uneroberten Provinzen von Jemen, Hadramaut und Oman ein fruchtbares Feld für Beute dar. Saud war nicht immer persönlich bei diesen kriegerischen Unternehmungen, sondern ließ sie von einem seiner Söhne, oder irgendeinem ausgezeichneten Scheikh anführen, ja wir haben sogar seinen schwarzen Sklaven Hark an der Spitze mehrerer Wahaby-Korps gesehen.

Wenn das Oberhaupt eine Expedition ausführt, so ist der Zweck derselben ihm allein bekannt. Er versammelt seine Emire bei einem gewissen Brunnen, welcher immer so gewählt wird, dass er den Feind täuscht, welchem der Angriff gilt. Soll. z. B. eine Expedition nach Norden von Derayeh unternommen werden, so versammelt sich die Armee mehrere Tagereisen südlich von Derayeh. Er bewegt sich auch dann wirklich in südlicher Richtung vorwärts, kehrt aber bald um, und fällt mit forcierten Märschen über seinen Feind, der gewöhnlich durch Überrumpelung geschlagen wird. Diese Kriegslist ist sehr notwendig, denn wie ein Blitz läuft die Nachricht durch ganz Arabien, dass Saud seine Truppen nach einem gewissen Ort entboten habe; und wenn aus der Lage dieses Ortes irgendein Schluss auf den beabsichtigten Angriff gemacht werden könnte, so würde der Feind Zeit haben, Vorrichtungen zum Widerstand zu treffen, oder zu fliehen.

Die Expeditionen Sauds wurden alle mit viel Klugheit und Vorsicht entworfen und mit solcher Schnelligkeit ausgeführt, dass sie selten misslangen. Als er z. B. im Jahr 1810 einen Einfall in die Ebenen von Hauran machte, so erhielt man die Nachricht davon nur zwei Tage vorher, obschon er 35 Tage gebraucht hatte, um den Angriffspunkt zu erreichen; auch wusste man nicht, welchen Teil Syriens er angreifen würde. Es waren bereits 35 Dörfer in Hauran von seinen Soldaten verheert, ehe der Pascha von Damaskus einige Verteidigungsdemonstrationen machen konnte.

Aus den tapfersten und berühmtesten Kriegern unter seinen Arabern hatte Saud eine Leibwache (mendschyeh) gebildet, welche er beständig zu Derayeh behielt, und was die einzigen stehenden Truppen seiner Armee waren. Wenn er von einem ausgezeichneten Reiter hört, so ladet er ihn nach Derayeh ein und gibt ihm in seinem Dienst Anstellung, indem er mit ihm übereinkommt, ihm und seiner Familie ihren jährlichen Bedarf an Getreide, Butter und Datteln zu liefern. Er gibt ihm auch eine Stute, oder ein gutes delul. Diese Leibwache begleitet den Anführer beständig auf seinen kriegerischen Unternehmungen. Der Name seiner Leibwache ist von allen Feinden der Wahaby gefürchtet, denn sie hat sich des Rufes ihrer hohen Tapferkeit niemals verlustig gemacht. Saud betrachtete sie immer in der Schlacht als eine Art von Reserve und sendete kleine Abteilungen derselben seinen anderen Truppen zur Unterstützung. Diese Leibwache mag etwa an 300 Mann betragen, die größtenteils in vollständiger Rüstung fechten. Ihre Pferde sind mit lebs (eine Art gepolstertes wollenes Zeug, undurchdringlich für Lanzen, oder Schwerter) bedeckt. Da sie sämtlich freiwillig in seine Dienste getreten sind, so hat Saud immer großes Vertrauen auf diese Leibwache gesetzt.

Außer der mendschyeh nahm Saud auch viele Agyds, oder Kriegsanführer der Beduinenstämme mit nach Derayeh. Er schwächte die Macht dieser Stämme, indem er ihnen ihre Anführer entzog, und verstärkte seine eigene Partei durch den Zutritt dieser berühmten Männer, denen er oft, sobald er sah, dass sie seinem Interesse aufrichtig ergeben waren, die Leitung seiner Kriegszüge übertrug.

Die Wahaby machen ihre Angriffe in jedem Monate des Jahres, selbst im heiligen Monate Ramadan. Saud hat immer eine große Vorliebe für den Monat Zul hadsche bewiesen, und seine Anhänger behaupten, dass er nie auf einem Kriegszuge geschlagen worden sei, welchen er in diesem Monate vorgenommen habe. Da Saud zur Zeit seines Kriegsglückes jährlich die Wallfahrt machte, so benutzten seine Feinde, besonders die starken Arabischen Stämme Mesopotamiens, immer die Gelegenheit seiner Abwesenheit (während er sich nämlich zu Mekka befand), um in sein Gebiet einzufallen.

Wenn Saud, hinsichtlich der Wahl zweier Maßregeln, die gleich vorteilhaft zu sein schienen, sich in Verlegenheit befand, so wendete er oft das Mittel an, welches Mohammed empfohlen hat und darin besteht, ein kurzes Gebet an den Allmächtigen zu richten, ehe man sich schlafen legt, und den folgenden Morgen den Traum, den man gehabt hat, für oder gegen die Maßregel auszulegen. Die Scheikhs ließ er selten das Geringste von seinen Plänen gewahr werden.

Auf dem Marsch hatte jeder Emir, oder Scheikh feine Fahne, und er selbst hatte mehrere von verschiedenen Farben. Seine Zelte sind sehr schön und zu Damaskus, oder Bagdad verfertigt worden; aber seine Leute haben nur die gewöhnlichen schwarzen Zelte, wie sie bei den Arabern gewöhnlich sind, und die meisten haben nicht einmal Zelte. Sauds Proviant und Bagage wird von 200 Kamelen getragen. Auf entfernte Expeditionen nimmt er sehr reichlichen Vorrat mit, um diejenigen seiner Truppen unterstützen zu können, welche ihren eigenen Proviant verlieren. Und wenn er durch eine Landschaft kommt, die von Landbauern, oder Beduinen bewohnt wird, so bewirtet er auch alle ankommenden Gäste auf dieselbe Weise, wie zu Derayeh. Wenn die Armee des Nachts marschiert, so werden dem Oberhaupt und allen großen Scheikhs Fackeln vorgetragen. Nachtmärsche sind nur gewöhnlich, wenn der Angriffspunkt bestimmt ist und eine Strecke von vier, oder fünf Tagereisen binnen zwei Tagen zurückgelegt werden soll. Der Armee der Wahaby geht immer eine Vorhut von 30, oder 40 Reitern voraus, die unter der Benennung el Sabr bekannt ist. In der Regel gehen sie der Armee um eine bis zwei Tagereisen voran. Die Beduinen haben eine ähnliche Gewohnheit, einige Stunden vor dem Hauptcorps eine Vorhut voran zu schicken.

Sobald sich die Armee einem Feinde naht, teilt sie sich in drei, oder vier Abteilungen, die hintereinander marschieren. Die erste besteht aus Reiterei, bildet die Hauptstärke der Armee und beginnt den Angriff. Sie wird von dem zweiten Korps unterstützt, welches aus Kamelreitern besteht. Diese rücken vor, sobald die Kavallerie zurückgedrängt ist. Saud hat seit langer Zeit nicht mehr persönlichen Anteil am Kampfe genommen und ist immer im Rücken der Armee geblieben. Die Güte seiner Truppen, im Vergleiche mit denen des Feindes, setzte ihn in den Stand, den Kämpfenden immer kräftige Verstärkung zu senden, und der Sieg blieb selten lange unentschieden. Es war eine Lieblingskriegslist Sauds, vor dem Feinde zu fliehen, sich plötzlich zu sammeln und mit seinen auserlesenen Reitern über die ermüdeten Verfolger herzufallen.

Allen seinen Truppen, welche im Kampfe fallen, sichert Saud den Genuss des Paradieses nach der Lehre des Korans. Wenn ein Scheikh in der Schlacht getötet wird und seine Stute, wie es gewöhnlich der Fall ist, rückwärts in die Reihen der Truppen läuft, die sie kennt, so wird dieser Tod dem Oberhaupt als ein frohes Ereignis gemeldet, weil der Scheikh sicherlich ins Paradies gelangt ist. Bei dieser Gelegenheit ist folgender Ausdruck gewöhnlich: „Freue dich, o Saud, die Stute des N. N. ist zurückgekommen!’”

Wenn die leichten Korps der Wahaby ein Arabisches Lager plündern, so müssen sich die Weibsleute nackt ausziehen, während die Wahaby sich abwenden und ihnen einige Lumpen zur dürftigsten Bedeckung ihrer Blöße hinwerfen. Weiter erfahren die Weibsleute keine Beleidigung. Wenn das Plündern aufgehört hat, so verteilt der kommandierende Emir einige Kleidungsstücke unter sie und gibt jeder Familie ein Kamel und hinlänglichen Proviant zur Reise nach irgendeinem Lager von Verwandten, oder Freunden. Da die Männer getötet, oder entflohen sein können, so ereignet es sich manchmal, dass Weibsleute, welche zu den geplünderten Lagern gehören, mehrere Tage bei den Plünderern bleiben und in ihrer Gesellschaft weiter ziehen, bloß um unterwegs beschützt zu werden.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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