Okzidental-islamische Wanderbewegungen. Eine kleine Rezeptionsgeschichte.

Die abendländische Beschäftigung mit dem Islam als Religion und Träger einer umfassenden Kultur, war seit jeher eingebettet in ein diffiziles Spannungsverhältnis zwischen falschen Unterstellungen und aufrichtiger Bewunderung. Zwischen dem 11.Jahrhundert und den hasserfüllten Tiraden des damaligen Papstes Urban II. (1035-1099) gegen die islamische Welt, die im 1.Kreuzzug mündeten, und der offenen Begeisterung für den Islam im „West-östlichen Diwan“ eines Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), liegen mehrere Zeitmaße wechselvoller Geschichte zwischen Orient und Okzident. Muhammad Asad (1900-1992) konstatiert in seinem autobiografischen Werk „Der Weg nach Mekka“:

„Es ist eine geschichtliche Ironie, daß die Feindschaft des Abendlandes gegen den Islam- eine Feindschaft, die ja in ihren Anfängen religiös bedingt war- immer noch fortlebt zu einer Zeit, in welcher der religiöse Glaube einen so geringen Platz im Denken und Fühlen des Abendländers einnimmt. Aber das ist nicht allzu erstaunlich. Es kommt gar nicht so selten vor, daß in einem Menschen, der im Verlaufe der Jahre seinen Kindheitsglauben verloren hat, eine bestimmte Gemütsregung, die ursprünglich mit jenem Kindheitsglauben verknüpft war, unbewußt und irrational das ganze spätere Leben hindurch wirksam bleibt.“[1]

So ist es kaum erstaunlich, wenn in heutiger Zeit- neben all den politischen Verwerfungen und Stellvertreterkriegen- dem Islam in unseren Breitengraden, eine fast hysterische Anfeindung widerfährt. Dennoch gab es immer wieder Denker, Dichter und Herrscher aus der abendländischen Hemisphäre, die sich eingehender mit dem Islam auseinandergesetzt und auch geistreiche Ansätze für die klassische Debattenkultur geliefert haben.

Die sorgfältige Betrachtung der Geistesgeschichte in Politik und Kultur lieferte uns schon im tiefen Mittelalter ein besonderes Verhältnis im angeblich ausschließlich fanatischen Kampf zwischen dem christlich geprägten Abendland und der islamischen Zivilisation. Da waren einzelne Stimmen von Deutschen, die sich ohnehin schwer getan hatten, sich der von den Päpsten entfachten Kreuzzugsbegeisterung anzuschließen. So schloss  insbesondere das germanische Herrschergeblüt der Stauffer engere Beziehungen zu der morgenländischen Herrschaftsdynastie der Ayyubiden. Wer weiß von den höchst erstaunlichen Ereignissen bereits – um nur ein Beispiel zu nennen- zwischen Kaiser Friedrich I. (1122-1190), und dem islamischen Sultan Salah ed-Din (1137-1193)? So kam eines Tages im Jahre 1173 eine Abordnung mit einem Schreiben aus Kairo nach Aachen, indem nicht weniger als um die Hand der deutschen Kaisertochter für Salah ed-Dins Sohn angehalten wurde.

Eine mittlerweile auch in den Mainstream-Medien berücksichtigte Epoche des fruchtbaren Austausches zwischen Orient und Okzident, stellt die Herrschaft des Islams in Spanien –von den Islambekennern auch „al Andalus“ genannt- dar. Ab dem Jahre 711 bis hin zum Jahre 1492 herrschten in verschiedenen Konstellationen und Prägungen Muslime auf der iberischen Halbinsel. Die deutsche Religionswissenschaftlerin Sigrid Hunke (1913-1999), hat sich in ihren Publikationen eingehender mit dem Islam beschäftigt und leistete damit wichtige Pionierarbeit bzgl. der Aufklärung über den Islam. In ihrem schmalen Bändchen „Allah ist ganz anders. Enthüllung von 1001 Vorurteilen über die Araber“ schreibt Hunke über die Herrschaft der berberischen Muslime folgendes:

„Das Beispiel Spanien zeigt ferner, daß dort ein verarmtes, verwahrlostes, geknechtetes Land innerhalb von zweihundert Jahren arabischer Herrschaft durch den Wohlstand aller Kreise seiner Bevölkerung, durch die Bildung aller Volksschichten, durch die Höhe seiner Kultur, seiner Wissenschaften und aller Künste weit vorn an der Spitze Europas und der weithin ganz unterentwickelten, durch die geistfeindliche Kirche steril gehaltenen christlichen Welt stand, Vorbilder und vielseitige Anregungen gebend, und diesen hier absolut einzigdastehenden Vorrang durch ein halbes Jahrtausend unbestritten hielt- bis es von außen durch das christliche Spanien zerschlagen wurde.“[2]

Kaum verwunderlich also, dass sich schon zur damaligen Zeit ein facettenreiches Geflecht von Interdependenzen entwickelte. Sukzessive nahmen die Beziehungen zwischen Orient und Okzident zu. So griffen beispielsweise abendländische Mediziner, muslimische Erfindungen wie etwa die von Ibn an-Nafis (1210-1288) in der Anatomie auf. Jedoch erst im 18. und 19.Jahrhundert kann man vermehrt von einer geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung des Abendlandes mit dem Islam sprechen. Dieser Sachverhalt ist insbesondere auf die schleppende Transliteration des Al-Qurʾān karim in die mannigfaltigen Sprachen Europas zurückzuführen, da von Seiten der Kirche, unter Alexander VII. (1599-1667), eine auf Ängsten fußende Übersetzungssperre galt. Dieses kam nicht von ungefähr, da schon zur Zeit der arabischen Herrschaft über Spanien, der damalige Bischof von Cordoba, folgendes Klagelied niederschrieb:

„Viele meiner Glaubensgenossen lesen die Gedichte und Märchen der Araber, sie studieren die Schriften der muhammedanischen Theologen und Philosophen, nicht um sie zu widerlegen, sondern um zu lernen, wie man sich auf korrekte und elegante Weise im Arabischen ausdrücke…“[3]

Dennoch erschien im Jahre 1616 die erste deutsche Koranübersetzung vom evangelischen Prediger Salomon Schweigger (1551-1622). Eine besondere Beachtung widerfuhr der ersten direkten, ungefähren Übersetzung von David Friedrich Megerlein (1699-1778) mit dem fragwürdigen Titel die „Türkische Bibel“ im Jahre 1772.

Demgemäß entstand durch jahrhundertelange kulturelle Reproduktionen und Stereotypen ein ziemlich ambivalentes Bild vom Islam als Religion und Kultur. Sichtet der Forscher die vielzähligen Quellen von abendländischen Denkern die sich mit dem Islam auseinandergesetzt haben, so entsteht ein Gefälle zwischen Bewunderern des Islams als Kulturträger auf der einen Seite und totaler Ablehnung des Islams als „Satanswerk“ andererseits. Auffallend ist demgemäß die offensichtliche Ablehnung von Gelehrten des Positivismus, Pessimismus und Jakobinertums. Es ist also nicht verwunderlich, dass beispielsweise der defätistische Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) in seinem in großen Teilen atheistischen Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ über den Islam schreibt:

„Der Islam, der ganz optimistisch ist, ist, wie die neueste, so auch die schlechteste aller Religionen.“[4]

Diese Meinung fußt sicherlich auf sein fehlerhaftes Gottverständnis, da er in seinem handschriftlichen Nachlass vermerkt hat:

„Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht der Gott seyn, ihr Jammer würde mir das Herz zerreißen.“[5]

Umso bemerkenswerter ist die fundierte Meinung seines zur damaligen Zeit größten Widersachers Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831):

„Während das Abendland anfängt, sich in Zufälligkeit, Verwicklung und Partikularität einzuhausen, so musste die entgegensetzte Richtung in der Welt zur Integration des Ganzen auftreten, und das geschah in der Revolution des Orients, welche alle Partikularität und Abhängigkeit zerschlug und das Gemüt vollkommen aufklärte und reinigte, indem sie nur den abstrakte Einen zum absoluten Gegenstand und ebenso das reine subjektive Bewusstsein, das Wissen nur dieses Einen zum einzigen Zweck der Wirklichkeit – das Verhältnislose zum Verhältnis der Existenz – machte.“[6]

Hegel bezeichnete den Islam zu

„aller Erhabenheit fähig, und diese Erhabenheit ist frei von allen kleinlichen Interessen und mit allen Tugenden der Großmut und Tapferkeit verbunden.“[7]

Und über die Muslime schrieb er:

„Nie hat die Begeisterung als solche größere Taten vollbracht. Individuen können sich für das Hohe in vielerlei Gestalten begeistern; auch die Begeisterung eines Volkes für seine Unabhängigkeit hat noch ein bestimmtes Ziel; aber die abstrakte, darum allumfassende, durch nichts aufgehaltene und nirgendwo sich begrenzende, gar nichts bedürfende Begeisterung ist die des mohammedanischen Orients.“[8]

Diese doch erstaunlichen Zeilen fußen auf ein komplett differentes Weltverständnis und Menschenbild im Vergleich zu Arthur Schopenhauer. Hegel, Anhänger des Deutschen Idealismus, dessen lyrischer Gegenpart die Weimarer Klassik darstellt (z.B. Goethes West-östlicher Diwan oder Friedrich Rückerts bahnbrechende Koranübersetzung!), der gerade die Bedeutung der Metaphysik systematisch hervorhebt, kann also auch für uns Muslime ein erfolgversprechender Analytiker für das Verständnis von Weltgeschichte sein. Hegel erkannte den wahrhaftigen Eingottglaube! Die Sogkraft die dieser hervorruft ist bahnbrechend und treibt auch heutzutage viele Muslime an. Kontrapart zu all dieser „Harmonie“ stellen Denker wie Karl Marx (1818-1883)- dessen historischer Materialismus eine vulgäre Umkehrung der hegelschen Gesetze darstellt-und Voltaire (1694-1778) dar. So notiert der jakobinische Voltaire in einem Brief aus dem Jahre 1740 seine simplen Vorstellungen vom Islam:

„Ich gebe zu, dass wir ihn (Anm.: Mohammed (sAs)) hoch achten müssten, wenn er Gesetze des Friedens hinterlassen hätte. Doch dass ein Kamelhändler in seinem Nest Aufruhr entfacht, dass er seinen Mitbürgern Glauben machen will, dass er sich mit dem Erzengel Gabriel unterhielte; Dass er sich damit brüstet in den Himmel entrückt worden zu sein und dort einen Teil jenes unverdaulichen Buches empfangen zu haben, das bei jeder Seite den gesunden Menschenverstand erbeben lässt, dass er, um diesem Werke Respekt zu verschaffen, sein Vaterland mit Feuer und Eisen überzieht, dass er Väter erwürgt, Töchter fortschleift, dass er den Geschlagenen die freie Wahl zwischen Tod und seinem Glauben lässt :Das ist mit Sicherheit etwas, das kein Mensch entschuldigen kann,es sei denn, er ist als Türke auf die Welt gekommen, es sei denn der Aberglaube hat ihm jedes natürliche Licht erstickt.“

Diese bar jeder ehrlichen Suche nach Gotterkenntnis geschriebenen Zeilen erinnern uns auch an heutige Islamhasser und ihre immer gleichen Vorwürfe, die schon zigmal widerlegt wurden. Versöhnlicher sind die hier abschließenden Zeilen von Friedrich Nietzsche (1844-1900), der in heutiger Zeit generell als größter Atheist und Nihilist gehandelt wird. Sein Ausruf „Gott ist tot!“ ist allgemeinhin bekannt und wird doch oftmals missverstanden: Für ihn ist der abendländische, christliche Gott, gestorben. Die nietzscheanische Idiosynkrasie führte ihn zu einer passionierten Antipassion. Für Nietzsche zählten vor allem Aufrichtigkeit und das sogenannte Übermenschentum. In typisch überspitzter Form schreibt Nietzsche in seinem bedeutenden Buch „Der Antichrist“ dazu:

„Wenn der Islam das Christentum verachtet, so hat er tausendmal recht dazu: der Islam hat Männer zur Voraussetzung. Das Christentum hat uns um die Ernte der antiken Kultur gebracht, es hat uns später wieder um die Ernte der Islam-Kultur gebracht. Die wunderbar maurische Kultur-Welt Spaniens, uns im Grunde verwandter, zu Sinn und Geschmack redender als Rom und Griechenland, wurde niedergetreten (- ich sage nicht von was für Füßen -), warum? weil sie vornehmen, weil sie Männer-Instinkten ihre Entstehung verdankte, weil sie zum Leben ja sagte auch noch mit den seltnen und raffinierten Kostbarkeiten des maurischen Lebens“[9]

[1] Muhammad Asad: Der Weg nach Mekka, S.20f.

[2] Sigrid Hunke: Allah ist ganz anders, S.58

[3] Sigrid Hunke: Allahs Sonne über dem Abendland. S. 407

[4] Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, S.834

[5] Arthur Schopenhauer: HNH 3, S.57, Nr.138

[6] Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, S.431

[7] Ebenda, S.434

[8] Ebenda, S.435

[9] Friedrich Wilhelm Nietzsche: Der Antichrist, S.74

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Über Nando-Dragan Nuruddin Augener

Nuruddin, Jahrgang 1989, machte 2010 sein Abitur und lebt in Hamburg. Studium der Erziehungswissenschaft und der Soziologie an der Universität Hamburg (2011-2014). Arbeitet zurzeit als Bürokaufmann. Muslim seit September 2016. Kontakt: nd.augener@web.de

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