Die Medienkompetenz von Mainstreamverächtern und das Problem der Berichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten

von Yahya bin Rainer

Was haben sogenannte Islamisten, Salafisten und Jihadisten mit Islamophobikern, Muslimhassern und Abendlandsvergötterern gemeinsam?

Nun, es ist eine Eigenschaft, die sie wohl auch mit vielen Schiiten, Evangelikalen, Libertären, Neurechten, Verschwörungstheoretikern und vielen anderen Randgruppen dieser Gesellschaft gemeinsam haben. Es ist eine offen zur Schau gestellte Abneigung gegen die sogenannten Mainstreammedien.

Die Gründe für diese Abneigung sind sicherlich zahlreich und unterschiedlich gelagert, jedoch scheint ein prägnanter und gemeinsamer Grund darin zu liegen, dass eben diese gesellschaftliche Randgruppen überdurchschnittlich oft das Ziel der Berichterstattung dieses modernen Schandpfahls werden.

Wurden Andersdenkende früher noch vom Souverän an einen echten Pranger gestellt und anderen Repressalien ausgeliefert, so überlässt man das heutzutage den gut eingeübten und erprobten Mechanismen der demokratischen Mehrheitsgesellschaft. Hier und da greift die Staatsmacht sicher auch mal helfend oder regulierend ein, aber Pranger und Repression funktionieren auch ohne ihr Dazutun hervorragend.

Das Resultat dieser Tatsache ist, dass gesellschaftliche Randgruppen, die bereits das Ziel einer solchen negativen Berichterstattung wurden, naturgemäß eine Antipathie gegen dieses Medium entwickeln. Tragischerweise fehlt es den meisten unter ihnen dann aber an einer glaubwürdigen Konsequenz, denn nicht selten sind sich diese gesellschaftlichen Randgruppen auch untereinander spinnefeind und finden die Berichterstattung dieses (eigentlich verabscheuten) Mainstreams dann natürlich vollkommen angebracht, wenn er „die anderen“ an den Pranger stellt.

Diese Denkweise veranschaulicht, wie ernst es diesen Mainstreamverächtern tatsächlich ist und sollte zudem jeden Menschen mit einem Fünkchen Anstand und Aufrichtigkeit zum Nachdenken anregen. Wenn wir wissen, dass ein bestimmtes Medium häufig lügt, schlecht recherchiert oder tendenziös berichtet, warum nutzen wir dann trotzdem seine Berichte wenn es mal nicht gegen uns geht, sondern gegen „die Anderen“?

Nicht das man mich falsch versteht. Ich habe selber keine Antwort darauf. Auch ich verlinke auf Facebook und Twitter Artikel und Kommentare von Mainstreammedien und auf der anderen Seite verfluche ich sie. Wenn es gegen PImaten, Nazis, Kommunisten, Evangelikale, Zionisten usw. geht, dann ist mir der Mainstream lieb. Aber sobald man dort negativ über sogenannte Islamisten, Salafisten, Jihadisten, Scharia, Islam usw. schreibt, dann hört man auch von mir den allbeliebten Fluch auf die Lügenpresse.

Wie unehrlich das doch ist.

Und was machen diejenigen, die die öffentlich-rechtlichen (also staatlichen) Sendeanstalten und allgegenwärtigen (Mainstream-) Printmedien in Deutschland komplett ausblenden, oder es zumindest versuchen? Woher beziehen sie ihre Informationen, wem schenken sie ihr vertrauen?

Auch diese Realität ist beängstigend. Speziell auf Facebook erkennt man die Tendenzen der deutschen Mainstreamverächter und fragt sich ernstlich nach dem Grad an Medienkompetenz der ihnen innewohnt. Anstatt Tagesschau und heute beim deutschen Staatsfernsehen zu schauen, schenken sie ihr vertrauen nun den Staatsmedien von Rußland (z.B. RT), Iran (z.B. Press TV), China (z.B. CCTV)  und mittlerweile sogar Syrien. Zudem scheinen Verschwöungsblogs jeglicher Couleur (Truther, Infokrieger usw.) auf die Verächter des Mainstreams eine gewaltige Anziehungskraft auszuüben.

Diese Entwicklung ist nicht nur tragisch weil sie (aus meiner Sicht) eine gewaltige Inkompetenz zutage fördert, sondern auch, weil sie sich ganz offensichtlich zu einem Tool wandelt, das den Konsumenten zwar vom hiesigen gesellschaftlichen Diktat befreit, aber quasi ohne Umwege in die Arme anderer Interessen treibt.

Warum ich eigentlich mit diesem Beitrag begann

Wie das so beim Schreiben ist. Dieser Beitrag sollte eigentlich recht kurz werden, aber da haben wir den Salat. Im Grunde wollte ich nur die Syrien-Berichterstattung ansprechen. Denn hier haben wir es (ganz speziell) mit einem Thema zu tun, welches in der Mehrheitsgesellschaft stark vom Mainstream beeinflusst wird. Der Nahe und Mittlere Osten ist in seinen politischen sowie religiösen Spannungsfeldern sehr kompliziert zu begreifen. Die kolonialistischen Hinterlassenschaften von Engländern, Franzosen und letztendlich auch Amerikanern, haben im gesamten Gebiet Zwietracht und politische Verwirrung hinterlassen. Sie stürzten und unterdrückten in den letzten 100 Jahren natürlich erwachsene Autoritäten, privilegierten unbeliebte (und deshalb willige) Minderheiten und importierten fremde (und nicht selten tragisch fehlgeleitete) politische Konzepte.

In diesem Wirrwarr aus politischen und religiösen Interessen müssen nun die zahlreichen Journalisten, Reporter und Korrespondenten ein informatives Bild abgeben und wie es scheint, gibt es von solchen Berichterstattern nur dreierlei Arten.

1. Die einen gehen dort rüber und wissen vorher schon was sie berichten werden. Sie gehen dort hin um endweder ProFSA oder ProAssad zu berichten. Diese kommen wohl speziell aus den Staatsmedien der (teils offen, teils verdeckt) involvierten Nationen.

2. Diejenigen, die ohne Vorgabe ins Gebiet gehen und neutral zu berichten versuchen. Diese Berichterstattung ist solange neutral (und leider auch vollkommen unqalifiziert), bis die Berichterstatter sich bemühen, dass o.g. Wirrwarr zu enträtseln und die wahren Hintergründe zu erfahren. Und wenn ihnen das einigermaßen gelungen ist, dann werden sie zu …

3. …denjenigen, die nicht umhin kommen, für die eine oder andere Seite Sympathien zu entwickeln, sei es aus eigenen politischen oder religiösen Ansichten.

Das ist die wahre Tragik unserer Medien. Kein Journalist kann wirklich neutral bleiben, wenn er über solche Krisen, Kriege und Konflikte berichtet … und das ist auch nicht seine Aufgabe.

Ich erzähle in diesem Zusammenhang immer gern die Geschichte vom ehrlichen Journalisten in Pinneberg. Damals machten die Leitmedien große Furore, weil der (mittlerweile) allseits bekannte „salafistische Hassrapper“ Abou Maleeq die Kleinstadt nördlich von Hamburg besuchte. Es wurde fleissig gegen den kleine Pinneberger Gebetsraum polemisiert, der den muslimischen Gast freundlich aufnahm, wobei der Vertreter der (nicht vorhandenen) Jüdischen Gemeinde Pinnenerg besonders herausstach. Ein junger ansässiger Konvertit war daraufhin der Versuchung erlegen, diesen Vertreter im Internet als „dreckigen Juden“ zu bezeichnen, was letztendlich das Fass zum Überkochen brachte. Die Medienlandschaft war im Aufruhr und die kleine muslimische Gemeinde beschloss, die Bürgermeisterin, den Vertreter der (nicht vorhandenen) Jüdischen Gemeinde Pinnebergs und Vertreter der Presse einzuladen, um alle Missverständnisse aus den Weg zu schaffen.

Die Bürgermeisterin kam nicht, der jüdische Vertreter ebenfalls nicht, aber einige Journalisten waren sich nicht zu schade der Einladung zu folgen und sich ein Bild zu machen. Damals war ich noch der Ansicht, dass man den Kontakt zu den Medien suchen sollte, um ihnen einen möglichst authentischen Einblick in das Alltagsleben orthodoxer Muslime zu verschaffen. Ich wollte diese Menschen überraschen, indem ich ihnen zeigte, dass wir eigentlich normale Menschen sind wie sie, nur eben mit einer anderen Religion und einem etwas anderen Lebensstil. Heute bin ich geläutert und glaube nicht mehr daran, dass es jemals eine ausgeglichene Berichterstattung über das geben kann, was heutzutage als Salafismus abgestempelt wird.

Aber damals war es eben anders. Ich machte mich also frohen Mutes auf den Weg nach Pinneberg, um dort eventuell das eine oder andere Wort mit einem Journalisten wechseln zu können.  Im Gebetsraum angekommen, sah ich dann einige Exemplare der Gattung Journalist etwas verunsichert am Rande sitzen. Ein Mitglied des Trägervereins machte sich ran und sprach einen Journalisten an. Sie redeten ein wenig, die Atmosphäre wurde lockerer und der Bruder sah wohl die Chance für eine Bitte.

„Sehen Sie mal“, sagte er „sie sind doch ein Journalist, jemand der der Wahrheit verpflichtet ist und immer neutral berichten muß!“

Und da wurde der Bruder auch schon unterbrochen. „Nein“, sagte der Journalist „dass ist so nicht richtig! Ich bin zwar Journalist, aber meine Aufgabe ist es nicht neutral zu berichten. Ich berichte nur, was unsere Kundschaft, und somit der zuständige Redakteur lesen möchte. Das hat mit Neutralität nichts zu tun. Jeder Journalist, jeder Redakteur und natürlich auch jeder Leser hat eine eigene Meinung. Zeitungsverlage sind Wirtschaftsunternehmen und bedienen eine Kundschaft und für diese Kundschaft berichten wir!“

Eine Lösung für das Problem einer authentischen Informationsbeschaffung und einem aufrichtigen und anständigen Umgang mit den Mainstreammedien habe ich mit diesem Beitrag sicherlich nicht gefunden, aber zumindest möchte ich es als Denkanstoß verstanden wissen. Denn egal wie sich die Feindeskonstellation auch darstellt, sollte man doch zumindest die eigene Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen und mit sauberen Mitteln kämpfen.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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