Die Geltungskraft des jüdischen Rechts (Halacha)

Im Folgenden seht ihr einen Auszug aus dem Wörterbuch des jüdischen Rechts zum Thema der Geltungskraft. Für diesen, wie auch alle anderen Artikel bezüglich des jüdischen Rechts (Halacha), ist zu beachten, dass ich diese immer mit einem schielenden Auge auf die Muslime und das islamische Recht (Scharia) verfasse.

Wer sich also wundert, wieso der Ibn Rainer so viel über das Judentum schreibt, der muss sich ein wenig anstrengen und versuchen Zusammenhänge herzustellen. Für diejenigen, denen das ein wenig schwer fällt, werde ich hier einige wichtige Textteile unterstreichen.

Hinsichtlich seines Geltungsbereiches unterscheidet sich das jüdische Recht als ein religiöses Recht von modernen Rechten vor allem dadurch, daß es für die Juden nicht nur territorial, sondern überall und immer verpflichtende Kraft hat.

Vereinzelte Gesetze freilich sind ausschließlich an Palästina gebunden, so daß sie „außerhalb des Landes“ (chuz la-arez) keine Geltung haben, oder sie sind vom Bestand des souveränen jüdischen Staatslebens abhängig, so daß sie nach dessen Aufhebung unverbindlich wurden. Das jüdische Recht ist insofern sehr weitherzig, als es für Fremde ein Sonderrecht gelten läßt und von den im jüdischen Staat niedergelassenen Fremden nur die Einhaltung der nioachidischen Gesetze verlangt. Die Anwendung des Strafrechts hörte nach den Angaben des Talmud schon vor dem Ende des zweiten jüdischen Staates auf. Das gesamte übrige Recht aber behielt als nationales Recht der Juden seine Geltung. – Der Verlust des Staates hatte nicht den Verlust des Rechtes zur Folge, da die Gemeinschaft und der von ihr vorausgesetzte Bund mit Gott, nicht aber der Staat die Quelle des Rechts ist. Das jüdische Recht ist für die Juden somit noch heute ein geltendes Recht; das jüdische Recht wurde demgemäß, wie die Geschichte seiner Rechtsquellen und die moderne Rechtsforschung zeigt, stets so gepflegt, als wäre es ein geltendes, mit staatlicher Macht ausgestattetes Recht.

In der Zeit des Mittelalters bis in die neueste Zeit ergaben sich für die innerjüdische Anerkennung des jüdischen Rechts und die Erhaltung der eigenen Gerichtsbarkeit schon deshalb keine Schwierigkeiten, weil allgemein der Grundsatz der Stammesrechte galt, wonach das Recht nicht durch den Staat gesetzt wurde, sondern den einzelnen Volksgemeinschaften überlassen blieb. Demgemäß war auch für die Juden ihr eigenes Recht wie schon in den ältesten Zeiten weiterhin verbindlich. Allerdings galt auch für sie die Vorschrift, daß sie sich dem Recht des Staates, in dem sie lebten, zu unterwerfen haben, falls es nicht mit den religiös-sittlichen Gesetzen des Judentums in Widerspruch steht; schon eine ausdrückliche Bestimmung des jüdischen Rechts sieht die Anerkennung des Rechts dieses Staates vor, ja diese Anerkennung wird sogar schon von den Propheten (Jer. 29, 4) als religiöse Verpflichtung angesprochen. Aber diese Anerkennung des Staatsgesetzes galt in erster Linie nur für das Vermögensrecht, insbes. die Steuergesetzgebung. In diesem Sinn ist der Grundsatz „dina demalchuta dina“ aufzufassen (b. Gitt. 10b), der auf das gesamte Kultus-, Familien- und Eherecht keine Anwendung findet. (Über eigenartige Begleiterscheinungen, die die Sonderstellung für die Juden zur Folge hatte, vgl. z. B. die Art. Handelsrecht und Hehlerei). Eine wesentliche Änderung brachte eigentlich erst das 19. Jh., das durch die Einführung des allgemeinen Zivilrechts auch für die Juden, die nun als Vollbürger anerkannten Staatsangehörigen, das jüdische Recht zurückdrängte. Mit diesem ausschließlichen Anspruch des modernen Staates auf die Gesetzgebung wurde das jüdische Recht, ähnlich wie das kanonische, in seiner praktischen Anwendung zurückgedrängt. Gleichwohl wurde das jüdische Recht in jüdischen Zentren bis zum heutigen Tage in internen jüdischen Streitigkeiten zur Anwendung gebracht. In einer Verordnung Friedrichs des Großen aus dem Jahre 1750 wird z. B. ausdrücklich vorgesehen, daß für bestimmte Angelegenheiten nach den Bestimmungen des mosaischen Gesetzes zu entscheiden sei. Auch das österreich. allgemeine bürgerliche und das frühere russische Gesetzbuch sahen die Anwendung des jüdischen Rechts auf dem Gebiete des Eherechts ausdrücklich vor.

(Quelle: Wörterbuch des jüdischen Rechts / Marcus Cohn / 1927-1930)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

Ein Gedanke zu „Die Geltungskraft des jüdischen Rechts (Halacha)

  1. Selam Aleikum,

    […] Die Anwendung des Strafrechts hörte nach den Angaben des Talmud schon vor dem Ende des zweiten jüdischen Staates auf. […]

    Wissen Sie warum das so war.? Lag es daran, dass den Juden einfach keine Möglichkeit eingeräumt wurde ihr Strafrecht außerhalb Isreal umzusetzen? Häufig liest man auch, dass bestimmte Strafen, wie beispielsweise die Todesstrafe nie wirklich umgesetzt wurde.

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