«So entsteht der Nihilismus, der abgründige Haß des Proleten gegen die überlegene Form jeder Art, gegen die Kultur als deren Inbegriff, gegen die Gesellschaft als deren Träger und geschichtliches Ergebnis.
Daß jemand Form hat, sie beherrscht, sich in ihr wohl fühlt, während der gemeine Mensch sie als Fessel empfindet, in der er sich nie frei bewegen wird, daß Takt, Geschmack, Sinn für Tradition Dinge sind, die zum Erbgut hoher Kultur gehören und Erziehung voraussetzen, daß es Kreise gibt, in denen Pflichtgefühl und Entsagung nicht lächerlich sind, sondern auszeichnen, das erfüllt ihn mit einer dumpfen Wut, […].
Aber während man hier über die vornehme Form und die alte Sitte lächelt, weil man sie nicht mehr als Imperativ in sich trägt, und ohne zu ahnen, daß es sich hier um Sein oder Nichtsein handelt, entfesseln sie dort den Haß, der Vernichtung will, den Neid auf alles, was nicht jedem zugänglich ist, was emporragt und endlich hinunter soll.
Nicht nur Tradition und Sitte, sondern jede Art von verfeinerter Kultur, Schönheit, Grazie, der Geschmack sich zu kleiden, die Sicherheit der Umgangsformen, die gewählte Sprache, die beherrschte Haltung des Körpers, die Erziehung und Selbstzucht verrät, reizen das gemeine Empfinden bis aufs Blut. Ein vornehm gebildetes Gesicht, ein schmaler Fuß, der sich leicht und zierlich vom Pflaster hebt, widersprechen aller Demokratie.
Das otium cum dignitate statt des Spektakels von Boxkämpfen und Sechstagerennen, die Kennerschaft für edle Kunst und alte Dichtung, selbst die Freude an einem gepflegten Garten mit schönen Blumen und seltenen Obstarten ruft zum Verbrennen, Zerschlagen, Zertrampeln auf.
Die Kultur ist in ihrer Überlegenheit der Feind. Weil man ihre Schöpfungen nicht verstehen, sie sich innerlich nicht aneignen kann, weil sie nicht »für alle« da sind, müssen sie vernichtet werden.»
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung – 1. Teil: Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, Kap. 11, Seite 57)