Warum der Islam?

Dass ein aus dem Westen stammender Mensch sich in jungen Jahren in dieser Zeit dem Islam zuwendet, jener Religion, die heute vielen als unheimlich und bedrohlich erscheint, verdient wohl genauere Betrachtung. In einer Zeit, in der Religion entgegen ihres eigenen Anspruchs vordergründig nur noch als kulturelles Erbe und weniger als Frage von objektiver Wahrheit betrachtet wird, erscheint ein Religionswechsel als Kuriosum.

Die Annahme einer Religion ist im Idealfall einer ehrlichen Überzeugung geschuldet. Meine persönliche Sicht auf die Lehren des Islams war die eines Christen katholischer Konfession, der ursprünglich bemüht war, eben diese Überzeugung zu festigen. Doch war ich nie im Stande, die für das Christentum fundamentale Lehre der Dreieinigkeit zu verinnerlichen. Diese Schwierigkeit ergab sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass das Alte Testament, dem ich mich auf gewisse Weise immer sehr verbunden fühlte, keinen einigermaßen eindeutigen Hinweis auf ein solches Konzept liefert, sondern vielmehr an einem Gottesbild sich orientiert, welches – wie ich bald feststellen sollte – dem des Islam weitestgehend gleichkommt. Auch dem Judentum ist ein solches Konzept fremd. Weder im Alten Testament noch in den Aussagen Jesu Christi vermochte ich, eindeutige Belege für diese Lehre zu finden. Es ist zudem bekannt, dass diese Vorstellung unter den frühen Christen alles andere als ein Konsens war und sich erst in den folgenden Jahrhunderten durchzusetzen vermochte. Auch die Lehre der Ur- oder Erbsünde, wonach der Sündenfall Adams und Evas die Menschheit als Ganzes von der göttlichen Gnade entfernt habe und einzig der Glaube an den Opfertod Jesu Christi den Menschen ihr wieder zuführen könne, schien weder durch das Alte Testament noch durch die Rede Jesu Christi selbst untermauert. Gesetzt, dass diese Vorstellungen richtig wären und dass Gott uns den Weg zum Heil leicht machen will,     müssten sich jedoch klare Aussagen diesbezüglich in der Bibel finden lassen.

Ausgehend von diesen Problemstellungen war ich nun an einer Position angelangt, an der einerseits mein Widerspruch zur klassischen Lehre des Christentums offenkundig war, ich mich andererseits jedoch weiterhin dem abrahamitischen Monotheismus verbunden fühlte. Eine Annäherung an das Judentum wäre prinzipiell möglich gewesen, hätte mich jedoch gezwungen, den Bezug zur mir nach wie vor wichtigen Person Jesu Christi aufzugeben. In dieser Phase der Unsicherheit erfolgte nun eine intensive Beschäftigung mit der Glaubenslehre des Islam. Wichtig war die Erkenntnis, dass der Islam beide Religionen, das Judentum wie das Christentum, als im Ursprung von Gott stammend betrachtet, auch wenn gemäß koranischer Aussagen die Schriften dieser beiden im Laufe der Zeit gewissen Veränderungen anheimfielen, die die ursprüngliche Lehre verfremdeten. Der Islam ordnet sowohl Jesus Christus als auch die Propheten des Alten Testaments in ein Narrativ ein, demzufolge Gott in allen Völkern einen Propheten erweckte, welcher immer dazu aufrief, Gott alleine zu dienen. Der letzte in dieser Reihe ist Mohammed ibn Abdallah – Friede und Segen seien seine ewigen Begleiter. Er unterscheidet sich von den vorangegangenen Propheten dadurch, dass er nicht nur an ein einziges Volk entsandt ist, sondern seine Botschaft, der Koran und seine prophetische Tradition, an die Gesamtheit der nachfahren Adams gerichtet ist und bis zum Vergehen dieser Welt Gültigkeit haben wird. Der Islam ist darum nach eigenem Verständnis keine neue Religion, die erst im siebten Jahrhundert ihren Anfang nimmt, sondern vielmehr die Ur-Religion aller Propheten. So bedeutet »Islam« letztlich nichts anderes als die Unterwerfung in den Willen des einen Gottes als Schöpfer, Erhalter und Versorger. In dieser Lehre liegt gewissermaßen die Aufhebung der im Voraus geschilderten Unklarheiten. Der Islam bedeutete also die Möglichkeiten eines klar monotheistischen Bekenntnisses einerseits und andererseits das Festhalten an der Person Jesu Christi als einem Propheten Gottes. Die Entscheidung für den Islam wurde endgültig durch die Lektüre des Koran. Bis zum heutigen Tage vermochte ich keiner religiösen Schrift ansichtig zu werden, die eine ähnlich eindrucksvolle Beschreibung Gottes enthielt. Die jeden Zweifel strafende Apodiktik, die Darstellungen der Angelegenheiten des Jenseits, die die Verheißung des Lohns und die Androhung der Strafe immer und immer wieder in das Bewusstsein des Lesers rufen – solcherlei Aspekte des koranischen Textes machten mich unfähig zu glauben, dass jenes Buch irdischen Ursprungs, also dass Werk eines Menschen sein könnte. Von hier an waren es nur noch einige wenige Monate innerer Abwägung, bis ich den endgültigen Schritt zur Aussprache des Glaubensbekenntnisses tat.

Mit der Annahme des Islam war eine Phase der religiösen Unsicherheit zu Ende gegangen. Natürlich war ich mir bewusst, dass die Hinwendung zum Islam bedeuten würde, zu dem Großteil dessen, was den heutigen Zeitgeist ausmacht, in Opposition zu treten. Doch hatte dies etwas ungemein Befreiendes. Welche Weltsicht ist verabscheuungswürdiger als die heute uns prägende der menschlichen Selbstinthronisierung, der wissenschaftlichen Arroganz und des abgeklärten Materialismus? Der Kern dieser Moderne liegt in der Abkehr von der Transzendenz. Hierin gründet jenes Absterben der formgebenden Kraft, jener für diese Zeit sinnbildliche Zerfall von Kultur, Sitte und Moral. Der Fehler des abendländischen Konservatismus besteht darin, aus der unentrinnbaren Erkenntnis dieses Zusammenhangs keine konkreten politischen Schlüsse zu ziehen, sondern vielmehr dem uferlosen Kommerz als eine der letzten Stützen der bürgerlichen Gesellschaft das Wort zu reden. Darum ist er trotz seines nominellen Bekenntnisses zu traditionellen Werten außer Stande, ihrem Zerfall entgegenzuwirken.

Der Verlust für den Bezug zum Tradierten prägt also den modernen Okzident und, da die Globalisierung von hier ihre anfänglichen Impulse erfuhr, unweigerlich die gesamte Welt. Der Orient hingegen erlebt parallel zu dieser Entwicklung seit über einem Jahrhundert die Heraufkunft verschiedener Kräfte, die sich der Revitalisierung der muslimischen Religiosität verschrieben haben. Solche Ansätze haben bis heute ebenso verschiedene Ergebnisse gezeitigt. Führten einige in einen religiösen Relativismus, der in äußerster Konsequenz auch die Grundlagen der islamischen Religion angreift, mündeten andere in  Fanatismus und terroristischen Exzessen. Insbesondere Letzteres trägt heute zur emotionalen Disassoziation vieler Muslime von der eigenen Religion bei und ist zweifelsfrei als einer der Hauptgründe für heutige Ablehnung ihr gegenüber zu sehen. Jener Fanatismus und jene Gewalt bilden heute einen Aspekt der niederschmetternden Realität der muslimischen Welt.

Den Grund für eben diese Realität einzig in der zurückliegende Kolonisation und den heutigen militärischen Interventionen fremder Mächte zu suchen, wäre ganz und gar töricht und irreführend. Es wird kaum möglich sein, die sicherlich vielschichtigen Gründe für den zivilisatorischen Rückschritt des Großteils der muslimischen Welt in dieser kurzen Ausführung angemessen darzulegen. Sicher liegt er aber auch in der Abkehr vom Denken zugunsten eines starren Traditionalismus begründet, der den Begriff des Wissens auf das Auswendiglernen von durch gegenwärtige Umstände längst überkommenen Texten und Ideen begrenzt. Dass der Koran als Rede Gottes und die prophetische Sunnah als göttliche Rechtleitung begriffen werden, sollte keinesfalls den Blick auf die Tatsache vernebeln, dass wir beides letztlich immer durch die Brille jener sich in ihrem Schatten gebildeten Tradition erblicken. Die Tradition bewegt sich dabei jedoch nie in luftleerem Raum, sondern korreliert mit den jeweiligen Zeitumständen, die auf das Bewusstsein ihrer Stifter einwirken. Die Tradition an sich zu verwerfen, hieße uns der Verbindung zu den Quellen der Religion zu berauben und vierzehn Jahrhunderte muslimischer Gelehrsamkeit der Nutzlosigkeit zu bezichtigen. Sie als Absolutes über jede Ratio zu stellen garantiert jedoch den geistigen und somit in letzter Konsequenz auch zivilisatorischen Still- und Rückstand. Es bleibt daher zu hoffen, dass jene sich Gehör verschaffen, die nach einem Weg abseits dieser beiden Extreme suchen. Sie erwartet jedoch der sichere Widerstand all derer, die sich im status quo eingerichtet haben, allen voran der der hiesigen Machthaber und des ihnen loyalen Teils der muslimischen Gelehrsamkeit.

Wo steht aber nun jemand, der sich als Kind der abendländischen Zivilisation mit konservativ bis reaktionärer Grundeinstellung ausgerechnet in dieser Zeit der Polarisierung für den Islam als Religion und somit als Grundlage des eigenen Weltverstehens entschieden hat? Seit dem Ende des Kalten Krieges erleben wir eine erneute Fokussierung auf das Narrativ einer Konfrontation zwischen Orient und Okzident. Eine Entwicklung, die von einigen Kräften nach aller Kraft gefördert wird, um dadurch eigene Ziele zu verfolgen. Doch worin genau besteht diese vermeintliche Konfrontation? Sicherlich kaum in einem Kampf zwischen christlicher und muslimischer Religiosität, denn in beiden Sphären befindet sich der Glaube gegenüber einer durch Globalisierung gekennzeichneten Moderne längst in der Defensive. Die Front verläuft heute nicht zwischen Christentum und Islam.  Sie verläuft zwischen den Vertretern des Ethos der »einen Welt« mit seiner alle volkstümlichen und religiösen Eigenheiten einebnenden Monokultur einerseits und jenen, die einen Ausweg aus dieser Dynamik suchen und eben diese Eigenheiten erhalten wollen, andererseits.

So stehe ich heute also fest auf dem Grunde meiner religiösen Überzeugung und bin zugleich tief beseelt durch die Liebe zu meiner Heimat, ohne dass ich mich dadurch irgendeinem Widerspruch aussetzen müsste. Gerade der deutsche Geist, der Geist Goethes, Schillers, Hölderlins und Novalis‘, ist doch in jedem Winkel geprägt durch die Frage nach dem Höheren und steht alleine dadurch schon dem gähnenden Materialismus entgegen. Welch Gnade ist es für mich, an beidem teilhaben zu dürfen.

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Über Maximilian Suleiman Massauer

Vom Niederrhein stammend und 2009 zum Islam übergetreten. Gegenwärtig Studierend. Mein Interesse gilt insbesondere geschichtlichen, philosophischen und religiösen Themen und der diesbezüglichen Literatur. Besonders anziehend auf mich wirkt die Kunst der Aphoristik, in der ich mich gelegentlich selbst übe.

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