Du sollst nicht töten? (2. Teil)

von Yahya ibn Rainer

Im 1. Teil dieser Reihe haben wir gelesen, dass der 13. Vers im 2. Buch Mose / Kapitel 20 in vielen deutschsprachigen Bibeln falsch übersetzt wurde. Anstatt das hebräischen Wort lo tirtzach mit morde nicht zu übersetzen, steht in den meisten heutigen Bibel „Du sollst nicht töten“.

Unter den jüdischen Schriftgelehrten besteht allerdings nicht der geringste Zweifel, dass diese Übersetzung falsch ist und den Sinn des Gebotes verfälscht.

Im 1. Teil dieser Widerlegung wurden auch Beispiele der verschiedenen Bibeln genannt, die diese falsche Übersetzung übernahmen. So findet sich dieser Fehler in …

  • der ursprünglichen Luther-Bibel von 1545
  • der Elberfelder Bibel von 1905
  • der ersten Revidierung der Luther-Bibel von 1912
  • der Schlachter Bibel von 1951 und in
  • der letzten Revidierung der Luther-Bibel von 1984.

Der Ursprung dieses Übersetzungsfehlers geht also mit hoher Wahrscheinlichkeit von der ersten Luther-Bibel aus, die im Jahre 1545 erschienen ist.

Es stellt sich somit folgende Frage:

Hat Martin Luther tatsächlich den Sinn des Wortes falsch verstanden und es deswegen mit „Du sollst nicht töten“ übersetzt, oder hat er den tatsächlichen Sinn gewusst, war aber bei der Wortwahl ungenau?

Diese Frage lässt sich beantworten. Wenn Martin Luther bei seiner Übersetzungsarbeit tatsächlich den Sinn des Gebotes falsch verstanden hätte, dann müsste er, als treuer Christ, die These verteidigen, dass ein Christ nicht töten darf, weder als Henker im Auftrag der Obrigkeit, noch als Soldat. Aber von Martin Luther sind bis heute folgende Aussprüche bekannt:

„Die Obrigkeit ist eine Dienerin Gottes. Von sich aus könnte sie keine öffentliche Ordnung erhalten. Sie ist wie ein Netz im Wasser: Unser Herrgott aber jagt ihr die Fische zu. Gott führt der Obrigkeit die Übeltäter zu, damit sie nicht entkommen … Gott ist ein gerechter Richter auf Erden. Deswegen entgeht keiner, der nicht Buße tut, der gerechten Strafe durch die Obrigkeit. Entläufst du mir, so entläufst du doch dem Henker nicht.“

(Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart. Herausgegeben von Kurt Aland. Band 9: Tischreden. Dritte, völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 1960; Reclam-Ausgabe, Ditzingen 1987, 430)

„Solch wunderliche Zeiten sind jetzt, dass ein Volk den Himmel eher mit Blutvergießen verdienen kann denn anders sonst mit Beten … Steche, schlage, würge hie[r], wer da kann. Bleibst du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmermehr erlangen. Denn du stirbst im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wort und Befehl.“

(Wider die stürmenden Bauern, Weimarer Ausgabe der Lutherschriften (= WA) 18, S. 357 – 361)

„Denn die Hand, die das Schwert führt und tötet, ist dann auch nicht mehr eines Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott henkt, rädert, enthauptet, tötet und führt den Krieg. Das alles sind seine Werke und sein Gericht. Zusammengefasst: Man darf beim Soldatsein nicht darauf sehen, wie man tötet, brennt, schlägt, gefangen nimmt, usw. Das tun die ungeübten, einfältigen Kinderaugen, die [auch] dem Arzt nicht weiter zusehen, als wie er die Hand abnimmt oder das Bein absägt, aber nicht sehen oder bemerken, dass es um die Rettung des ganzen Körpers geht. Ebenso muss man auch dem Amt des Soldaten oder des Schwertes mit männlichen Augen zusehen, warum es so tötet und grausam ist. Dann wird es selber beweisen, dass es ein durch und durch göttliches Amt ist und für die Welt nötig und nützlich wie Essen und Trinken. Dass aber einige dieses Amt missbrauchen, … ist nicht Schuld des Amtes, sondern der Person … sie können zuletzt doch nicht dem Gericht Gottes, d.h. seinem Schwert entrinnen. Er findet und trifft sie schließlich doch, wie es auch jetzt den Bauern in [ihrem] Aufruhr ergangen ist.“

(Luther, Zur Frage, ob man auch als Soldat in einem Gott wohlgefälligen Stand lebt, WA 19, S. 623 – 662)

Ganz besonders wichtig scheint in diesem Zusammenhang das folgende Zitat, denn hier nimmt Martin Luther direkt Bezug auf die Bibel und erklärt sie:

„Dieses Gesetz des Schwertes hat es von Anfang an in der Welt gegeben, … dass man die Mörder wieder töten solle. Nach der Sintflut hat es Gott ausdrücklich wieder eingesetzt und bestätigt, indem er 1. Mose 9, 6 sagte: ´Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder durch Menschen vergossen werden.` … ´Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen` [Matth. 26, 52], was zu verstehen ist wie 1. Mose 9, 6: ´Wer Menschenblut vergießt` usw. Ohne Zweifel verweist Christus mit diesem Wort auf jene Stelle und will damit jenen Spruch [neu] einführen und bestätigen.“

(Martin Luther, Die weltliche Obrigkeit und die Grenze des Gehorsams, in: Martin Luther Taschenausgabe, Band 5, Berlin 1982, S. 112)

Diese Zitate sind wohl ausreichend um zu belegen wie Martin Luther über das Töten als Soldat und das Töten des Henkers im Namen der Obrigkeit dachte.

Martin Luther, der Führer und Begründer der zweitgrößten christlichen Konfession weltweit, der Protestanten, denen sämtliche evangelische und evangelikale Kirchen zugerechnet werden. Ein christlicher Schriftgelehrter, der die gesamte heutige Bibel übersetzte und somit einen Grundstein für alle nachfolgenden Übersetzungen legte.

Aber es gibt auch vereinzelte Bibeln, die das Gebot richtig wiedergeben.

Aber dazu im 3. Teil dieser Reihe >>

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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