Der Tadel an den Bediensteten der Dawla (1. Teil)

von Yahya ibn Rainer

Die Herrschafts- und Gesellschaftsform der muslimischen Gemeinschaft hat in den ersten 150 Jahren nach der Hijra einige bedeutende Veränderungen durchgemacht. Die beste Führung war ohne jeden Zweifel die Führung durch den Gesandten Allahs – Allah segne ihn und schenke ihm Heil –. Diese damalige Herrschafts- und Gesellschaftsform war als al-Mithaq bekannt, was soviel bedeutet wie „ein Bündnis unabhängiger Stämme“. Es gab keinen „Staat“ im herkömmlichen Sinne, keine Verwaltung und keine Behörden, lediglich einige öffentliche und offizielle Positionen (wie Heeresführung, Richter usw) wurden besetzt.

Nach dem Ableben des Gesandten Allahs – Allah segne ihn und schenke ihm Heil – kam die Führung der 4 rechtgeleiteten Kalifen. Dieses rechtmäßige Kalifat gilt bis heute als die gerechteste und beste Führung, die es nach dem Gesandten Allahs – Allah segne ihn uns schenke ihm Heil – gab. Während dieser Zeit wurde, neben vielen anderen Stämmen und Völkerschaften, auch Persien erobert. Wegen der raschen Ausbreitung des muslimischen Herrschaftsgebietes, beschloss der 2. Kalif, Umar ibn al-Khattab – möge Allah mit ihm zufrieden sein –, die erste behördliche Verwaltung einzuführen. Der Diwan al-Jund war eine Art Heeresregister, das die verschiedenen Garnisonen erfassen sollte und die Besoldung organisierte. Diese Verwaltungsform hatte man aus der hochentwickelten Staatspraxis der sassanidischen Perser entlehnt.

Mit der Machtergreifung von Mu’awiya ibn Abi Sufyan – möge Allah mit ihm zufrieden sein – wurde das Ende des rechtmäßigen Kalifats eingeläutet und die Herrschaft wandelte sich in ein klassisches Königtum, das Umayyadenreich war geboren. Die Verwaltungspraxis des Diwan wurde nun auch auf andere Bereiche ausgeweitet und der föderale Charakter des Mithaq erfuhr die ersten merklichen Einschränkungen.

Etwa im Jahre 132 n. H. wurde das arabisch dominierte umayyadische Königshaus durch die Abbasiden gestürzt. Maßgeblichen Anteil an der Etablierung des Abbasidenreiches hatten u.a. früh-schiitische Gruppen und die persische neo-sassanidische Oberschicht, die unter den Ummayyaden noch von den meisten öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wurde.

Mit der Machtergreifung der Abbasiden war die Dawla geboren. Der Behördenapparat wurde ausgebaut und ein gewaltiger Hofstaat errichtet. Heerscharen von neo-sassanidischen Persern fanden nun Eingang in die neu geschaffenen Verwaltungen, Registrationen und Sekretariate und die föderale Stammesstruktur wurde durch massive Zentralisierungmaßnahmen marginalisiert.

Unterstützer der Dawla erfreuten sich ihrer höchsten herrscherlichen Protektion. Unter diesem staatlichen Schutze konnten Gruppierungen und Sekten, wie die Mu’tazila, Schu’ubiya und die Proto-Schiiten ihre Blütezeit erleben, während die klassische sunnitische Lehre eine Phase der religiösen Repression durchleben musste.

In dieses Milieu wurde 159 n. H. der berühmte Literat ʿAmr ibn Bahr al-Jahiz hinein geboren. Er selbst wurde später ein Anhänger der mu’tazilitischen Glaubenslehre und ein Fürsprecher des abbasidischen Herrscherhauses. Trotz alledem war er befähigt, die gesellschaftlichen Zustände differenziert zu betrachten und nahm somit auch kein Blatt vor den Mund, als er in Erfahrung brachte, dass der Freund eines seiner Briefpartner es wagte, in einem Loblied auf die (größtenteils persischstämmigen) Bediensteten der Dawla, die (meist arabischstämmigen) unabhängigen Kaufleute gering zu schätzen.

Im Folgenden lest ihr hierzu sein Sendschreiben „Über das Lob der Kaufleute und den Tadel der öffentlichen Ämter“, übersetzt in die Deutsche Sprache 1967 von Walter W. Müller.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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