Der Tadel an den Bediensteten der Dawla (2. Teil)

von Yahya ibn Rainer

Im 1. Teil dieser Reihe habe ich versucht, den herrschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel der muslimischen Gemeinschaft in den ersten 150 Jahren nach der Hijra verkürzt darzustellen. Wichtig war für mich in diesem Zusammenhang der Fokus auf die „Staatlichkeit“ und „Zentralität“ der politischen und gesellschaftlichen Ordnungsstruktur. Wir können, beginnend bei der Führung durch den Gesandten Allahs – Allah segne ihn und schenke ihm Heil –, als Oberhaupt einer föderalen Ordnungsstruktur (al-Mithaq), bis hin zur zentralistischen Dawla der Abbasiden, einen signifikanten Anstieg der staatlichen Organisation und Planung feststellen.

Durch die Schaffung zahlreicher Verwaltungen, Registraturen und hofstaatlicher Stellen, stieg auch die Anzahl staatlicher Angestellter. Im Abbasidenreich war der Anteil staatlicher Bezugsempfänger bereits dermaßen angewachsen, dass dadurch eine ganz eigene Bevölkerungsklasse entstand. Die Bediensteten der Dawla hatten einen eigenen Status im Volk und waren nicht selten mit Attributen der Staatsgewalt ausgestattet, was ihnen gewisse Privilegien einbrachte.

So ergab es sich, dass bestimmte Teile der Gesellschaft sich darin übten, die Beamten, Sekretäre und sonstigen Bediensteten der Dawla mit Lob zu überschütten, um sich mit ihrer Gunst zu schmücken. Dem gegenüber wurden die freien und unabhängigen Kaufleute, die häufig wohlhabend und welterfahren waren, mit Hohn betrachtet und mit Tadel überhäuft, weil sie, wo es nur ging, sich vom Herrscher und seiner Dawla fern hielten.

Einen solchen Lob auf die Beamten und Tadel auf die Kaufleute beantwortete der berühmte Literat ʿAmr ibn Bahr al-Jahiz (159-255 n. H.) mit einen Sendschreiben an seinen Briefpartner. Er drehte den Spieß um und schrieb „Über das Lob der Kaufleute und den Tadel der öffentlichen Ämter“:

« […] Eine solche Sprache erwächst noch immer aus den untersten Gefolgsleuten des Herrschers. Die Oberschicht von ihnen dagegen, ihre Hevorragendsten, diejenigen von ihnen, die Einsicht und Unterscheidungsvermögen besitzen, denen die Klugheit die Augen geöffnet, die die Erziehung hart angepackt und deren Blick lange Überlegung geschärft hat, die Schamgefühl in sich haben und die Prüfungen stark gemacht haben, so dass sie die Folgen der Dinge kennen, die Einzelheiten beherrschen und von den Rätseln der Ursachen zu sprechen imstande sind, die geben die Überlegenheit der Kaufleute zu und wünschen, in deren Lage zu sein.

Sie erkennen ihnen zu, dass ihr geistliches Leben heil und ihr Essen gut ist, und sie wissen, dass sie stets die gewissenhaftesten Leute sind, das angenehmste Leben führen und das ruhigste Gemüt haben, denn in ihren Höfen sind sie wie Könige auf ihren Thronen, nach denen die Leute, die etwas bedürfen, verlangen und zu denen sich diejenigen, die etwas zu kaufen wünschen, begeben. In ihrem Lebenserwerb ist ihnen keine Erniedrigung auferlegt, und Unterwürfigkeit macht sie nicht zu Sklaven ihrer Geschäfte.

So ist es aber nicht mit denen bestellt, die in eigener Person enge Beziehungen zur Regierung haben und ihr durch ihre Dienstleistung nahe stehen. Diese haben vielmehr die Unterwürfigkeit als ihr Gewand und Schmeichelei als ihre Losung, und ihre Herzen sind erfüllt (vor Ehrfurcht) vor denen, die Macht über sie besitzen; Angst bekleidet sie, Erniedrigung ist ihnen vertraut, und die Aussicht auf Bedürftigkeit ist ihr ständiger Gefährte.

Außerdem befinden sie sich in Verärgerung und Aufregung aus Furcht vor dem Übermut ihres Vorgesetzten, dem Tadel ihres Herrn, einem Umschwung des Geschicks und dem Hereinbrechen von Heimsuchungen. Wenn ihnen diese Dinge zustoßen – und sie stoßen ihnen gar oft zu -, dann braucht man überhaupt nicht davon zu sprechen, wie bemitleidenswert sie sind, so dass sich sogar ihre Feinde über sie erbarmen, von ihren Freunden ganz abgesehen.

Wie soll man keinen Unterschied machen zwischen denen, welchen eine solche Frucht ihrer Wahl und ein solches Ergebnis ihrer erworbenen Fähigkeiten zuteil wird, und den anderen, die die Erfüllung ihrer Wünsche, Ruhe und Sicherheit vor Missgeschicken erlangt haben, und dabei noch zu großem Reichtum und zur Befriedigung ihrer Gelüste gekommen sind, ohne auf die Gunst eines anderen angewiesen zu sein?

Wie groß ist doch der Unterschied zwischen denen, die von der Huld der Bevorzugten frei sind, und den anderen, die die Wohltätigkeit zu Sklaven macht, die der Ehrgeiz unterjocht, an denen die Last der Gefälligkeit hängt, um deren Hals die Verpflichtung zum Dank gelegt ist und von denen das Sicherkenntlichzeigen als Pfand gefordert wird! […]

Was deinen Freund veranlasst hat, die Kaufleute zu tadeln, ist der Umstand, dass er sich in seinem Mangel an erworbenen Kenntnissen vorstellt, es fehle ihnen an Wissen und Bildung, weil ihr Gewerbe sie daran hindere und davon anhalte. Aber in welchem Zweig der Wissenschaft haben die Kaufleute nicht höchste Vollendung erreicht, keinen Anteil daran genommen, nicht die Führerstellung unter den Leuten des betreffenden Fachs innegehabt oder die Elite gebildet?

Gab es etwa unter den tabi’un einen gelehrteren und edleren als Sa’id bin al-Musajjab? Obwohl er ein Händler war, der verkaufte und kaufte, […] war er derjenige, der sich auf das Deuten von Träumen am besten verstand und in den Genealogien der Quraish am kundigsten war; er erteilte mit Unterstützung zahlreicher Prophetengenossen Rechtsgutachten und besaß zudem Kenntnis der Geschichte der jahilijja und des Islams, war demütig, sehr eifrig, gottesfürchtig, befahl das Gute und genoss in den Augen der Kalifen großes Ansehen.»

Im 3. Teil => dieser Reihe werde ich mit Auszügen aus dem Sendschreiben des al-Jahiz fortfahren in schaa Allah.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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