Buchauszug: Gustave le Bon – Der beträchtliche Einfluss der Araber auf das Abendland

«Auch auf das Abendland übten die Araber einen beträchtlichen Einfluß aus. Er war nicht geringer als im Orient, aber anderer Art. […] der Einfluß ihrer Wissenschaft, ihre Literatur und ihrer Moral war ungeheuer.

Betrachtet man das neunte und zehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung, als die maurische Kultur Spaniens in voller Blüte stand, so findet man im übrigen Europa als einzige Kulturzentren massige Zwingburgen, bewohnt von halbwilden Rittern, die stolz darauf waren, nicht lesen und schreiben zu können. Die gebildetsten Menschen der Christenheit waren arme, unwissende Mönche, die ihre Zeit damit verbrachten, in der Abgeschiedenheit ihrer Klöster Abschriften von Meisterwerken der Antike sorgfältig abzukratzen, um das zum Kopieren frommer Schriften benötigte Pergament zu erhalten.

Europa war lange Zeit zu barbarisch, um sich seiner eigenen Barbarei bewußt zu werden. Erst im elften und vor allem im zwölften Jahrhundert zeigten sich Ansätze wissenschaftlicher Bestrebungen. Als einige etwas hellere Geister das Bedürfnis empfanden, das schwer auf ihnen lastende Leichentuch der Unwissenheit zu zerreißen, wandten sie sich an die Araber, die einzigen Lehrer, die sie damals finden konnten.

Nicht durch die Kreuzzüge, wie man häufig behauptet, sondern über Spanien, Sizilien und Italien gelangte die Wissenschaft in das übrige Europa. 1130 begann in Toledo ein Kollegium von Übersetzern unter dem Patronat des Erzbischofs Raymond die Werke der berühmtesten arabischen Autoren ins Lateinische zu übertragen. Die Wirkung dieser Übersetzungen war groß; dem Westen erschloß sich eine neue Welt. Bis zum vierzehnten Jahrhundert nahm die Flut der Übersetzungen nicht ab.

Nicht nur arabische Autoren, wie Rhazes, Albukassis, Avicenna, Averroes usw. wurden ins Lateinische übertragen, sondern auch griechische, wie Galenus, Hippokrates, Plato, Aristoteles, Euklid, Archimendes, Ptolemäus, die von den Moslems ins Arabische übersetzt worden waren.

Das Mittelalter lernte das griechische Altertum erst über die Sprache der Jünger Mohammeds kennen. […] Einzig den Arabern, nicht den mittelalterlichen Mönchen, verdanken wir die Kenntnis der Antike, und die Welt schuldet ihnen ewige Anerkennung für die Rettung dieses Kulturschatzes. […] Bis zum fünfzehnten Jahrhundert wird man keinen Autoren finden, der anderes getan hätte, als von den Arabern abzuschreiben.

Fünf- bis sechshundert Jahre lang dienten fast ausschließlich Übersetzungen arabischer Werke, vor allem der Naturwissenschaften, als Grundlage für den Unterricht an den Universitäten Europas.»

(Gustave le Bon, La civilisation arabe, 1884 / aus dem Französischen von Peter Aschner, Die mittelalterliche Welt der Araber, F.A. Herbig Verlagsbuchhaltung, München – Berlin ©1974, Seite 139ff)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

4 Gedanken zu „Buchauszug: Gustave le Bon – Der beträchtliche Einfluss der Araber auf das Abendland

  1. Herzlichen Dank für diesen und die folgende Beträge zum Thema Einfluss der Araber auf das Abendland,besonders nach der Verpönung von Sigrid Hunke und ihrem Buch”Allahs Sonne über dem Abendland”-

    1. Die Araber waren aber nur solange fortschrittlich bis sich der Islam wirklich verbreitet hat und danach sind sie immer rückständiger geworden und konnten mit der westlichen Welt nicht mehr mithalten und eigentlich ist das bis zum heutigen Tag so geblieben wenn man sich die ganzen muslimischen Länder anschaut

  2. Es ist gut und richtig,wenn jemand wieder mal die Fakten in Erinnerung bringt,die die abendländische Kultur genährt haben,und auf welche Art und Weise dieser wertvolle Beitrag den Muslimen entrissen wurde,damit andere sich mit fremden Federn schmücken können.Die Muslime wurden damals aus Europa vertrieben oder vernichtet. Wiederholt sich das alles nicht ,nur in anderer Form und auf anderem Boden?Ist das die „christliche Leitkultur“?Wohin und zu was soll sie denn leiten?

  3. Es ist ja mittlerweile relativ bekannt, dass die islamische Welt eine beträchtlichen Einfluss auf Europa gehabt hat. Zahlreiche akademische und hier und da auch populärwissenschaftliche Bücher haben sich in den letzten Jahren zunehmend mit diesem Thema beschäftigt. Manche Autoren wie Ilija Trojanow setzen den Fokus mehr auf den kulturellen Einfluss (Literatur und Musik), manche wiederum wie Jim Khalili konzentrieren sich auf das Thema Naturwissenschaften und wiederum andere zeigen den Einfluss der Araber (und Perser) auf die Entwicklung der Philosophie (ein gewisser Karam Khella z.B. führt detailliert und klar Descartes „cogito ergo sum“ als copy + paste aus Ghazalis Autobiographie).

    Für mich neu und bemerkenswert ist hingegen der Einfluss des islamischen Rechts (insbesondere der malikitischen Rechtsschule) auf die Entwicklung des europäischen Rechts. Ein Thema, über das anscheinend noch mehr der Mantel des Schweigens gelegt wird als über all die anderen Einflüsse, die aus der islamsichen Welt hierher gelangten. Dabei gibt es nicht wenige Autoren (ägyptische wie französische), die deutlich aufzeigen, dass Napoleon Bonaparte seinen „code civil“ – ein Meilenstein in der Entwicklung des modernen europäischen Rechts nicht nur durch die Sharia inspiriert wurde, sondern zahlreich konkrete Artikel beinahe 1+1 (inklusive bsp. der Artikel, dass eine Person, die vier Jahre als vermisst gilt, für tot erklärt wird) aus Werken des malikitischen Fiqh übernommen wurden. Octave Pesles (gest. 1947) hat einige Bücher zu diesem Thema verfasst. (Hab dies allerdings nur auf französisch gelesen, bin mir nicht sicher, ob es zumindest eine englische Übersetzung davon gibt)

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