Materialien zur Geschichte der Wahaby – 03 – Regierung der Wahaby (1/1)

Diese ist eine Aristokratie, an deren Spitze die Familie Sauds steht. Er teilte sein Gebiet in mehrere Regentschaften oder Gouvernements ein, in welche auch die Araberstämme mit gehörten, welche sich dem Landbau gewidmet haben. Jeder große Beduinenstamm hat auch einen Regenten oder Scheikh, und unter demselben stehen mehrere kleinere Häuptlinge. Die großen Beduinen-Scheikhs, welchen die kleineren Stämme Achtung bezeigen müssen, empfangen von dem Oberhaupt der Wahaby den Ehrentitel Emir el Omera. Die Hauptgouvernements sind diejenigen der Distrikte el Hassa, el Aredh (welches Saud selbst verwaltete und von welcher Provinz Derayeh die Hauptstadt ist), el Kasym, Dschebel Schammar, el Harameyn (Mekka und Medinah), el Hedschaz (bedeutet bei den Beduinen die Gebirge südlich von Tayf) und el Jemen.

Die Gouverneure oder Emire dieser Provinzen exekutieren das öffentliche Recht, sind aber nicht die Richter, denn Saud hatte überall seine eigenen Kadhis angestellt. Die Autorität dieser Emire über die Araber ist sehr beschränkt und erstreckt sich nicht viel weiter über diejenige hinaus, welche ein unabhängiger Beduinen-Scheikh besitzt, außer dass er Folgsamkeit für das Gesetz durch Einkerkerung des Übertreters und durch Bestrafung für die Unfolgsamkeit erzwingen kann. Wenn er selbst eine Ungerechtigkeit begeht, so wendet man sich an das Oberhaupt. Deshalb findet man in Derayeh beständig Araber, welche aus den entferntesten Landesteilen herkommen, um gegen ihre Scheikhs zu klagen. Die Hauptobliegenheit der letzteren, außer, die Rechtsentscheidungen der Kadhis zur Ausführung zu bringen, besteht darin, die Armee der Wahaby mit Truppen zu versorgen und denen, welche die Steuern einsammeln, beizustehen.

In der Zeit des Krieges bilden die Oberhäupter dieser Provinzen, wie auch die großen Beduinen-Scheikhs, den geheimen Rat des Oberhauptes; in Friedenszeiten zog indessen Saud bloß die Ulama in Derayeh zu Rate. Diese gehören hauptsächlich zur Familie des Abd el Wahab, des Stifters der Sekte. Sie sind zahlreich zu Derayeh und besitzen bedeutenden Einfluss. Diese Familie heißt Ulad esch Scheikh. Es ist mir nicht genau bekannt, welche positive Rechte, oder Privilegien sie besitzen; aber so viel ist ausgemacht, dass Saud ihnen jede wichtige Angelegenheit mitteilte, ehe eine letzte Entscheidung erfolgte. Das Oberhaupt der Wahaby hat den Anschein eines absoluten Regenten, kennt aber zu gut die Denkungsart seiner Araber, als dass es ihm je einfallen sollte, auf eine despotische Weise zu regieren. Die Freiheiten der Individuen werden, wie in früheren Zeiten, erhalten und er scheint überhaupt die Gerechtigkeit mehr, als ein mächtiger Scheikh und nicht als der Herr von ganz Arabien zu verwalten. Er steht in der Tat unter der Kontrolle seiner eigenen Gouverneurs, welche sämtliche Personen von großem Einfluss in ihren betreffenden Provinzen sind und sich bald unabhängig erklären würden, wenn er sie ungerecht behandeln wollte. Beispiele dieser Art haben den Geist des Widerstandes gegen willkürliche Gewalt unterhalten, den die Beduinen nie aufgeben. Die Gouverneurs der Provinzen werden in der Ausübung ihrer Macht von einer Menge kleinerer Scheikhs kontrolliert; und man findet deshalb viele kleine Clans, die immer bereit sind, ihre Sache gegen die Tyrannei des Oberhauptes zu verteidigen, das sie alle unter ein Regierungssystem vereinigt hat, und dem es nach mächtigen Kämpfen gelungen ist, eine Ordnung der Dinge in Arabien herzustellen, welche der öffentlichen Sicherheit ebenso vorteilhaft ist, als den Privatinteressen.

Die Regierung der Wahaby ist jetzt (1816) erblich in Sauds Familie. So lange Abd el Azyz lebte, mussten die großen Scheikhs seinem Sohne Saud Treue schworen, welcher nach dem Tode seines Vaters ohne allen Widerstand zur höchsten Macht gelangte. Auf dieselbe Weise schworen auch die Scheikhs nach der Zeit dem Abdallah Treue, während sein Vater Saud noch lebte. Die Araber halten es indessen nicht für notwendig, dass die Würde des Oberhauptes von dem Vater auf den Sohn vererbt wird. Saud hätte auch einen seiner Brüder zu seinem Nachfolger ernennen können, und es lässt sich deshalb annehmen, dass dasselbe System zu Derayeh herrscht, nach welchem überall in der Wüste der Scheikh eines Stammes gewählt wird.

Das Oberhaupt der Wahaby ernennt und removiert[1] nach seinem Belieben die Scheikhs der Städte, Distrikte und Stämme, aber in der Regel bestätigt es bloß die von den Arabern selbst getroffene Wahl; und wenn ein Scheikh für seine Sache Anhänglichkeit hat, so gestattet es immer, dass der Sohn, oder der Bruder desselben ihm nachfolge.

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[1] auch: entfernt, setzt ab

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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