Materialien zur Geschichte der Wahaby – 02 – Von Sauds Person und Familie (1/2)

Saud, der Hauptverbreiter der neuen Lehre, war der älteste Sohn des Abd el Azyz, welcher im Jahr 1803 ermordet wurde. Außer Saud hatte seine Mutter, die Tochter des Abd el Wahab, noch zwei Söhne, Abderrahman und Abdallah. Saud starb in einem Alter von 45, oder 50 Jahren im April 1814 an einem Fieber zu Derayeh. Und seinem Tode muss das Missgeschick zugeschrieben werden, welches seine Nation bald nachher erfuhr. Er soll ein ausnehmend schöner Mann gewesen sein und die schönen Gesichtszüge besessen haben, durch welche seine Familie ausgezeichnet war. Er trug einen längeren Bart, als man ihn gewöhnlich bei den Beduinen findet, und so viel Haare um seinen Mund herum, dass ihn die Einwohner von Derayeh Abu Schowareb, oder den Vater der Schnurrbärte, nannten.

Alle Araber, selbst seine Feinde, rühmen den Saud wegen seiner Weisheit im Rate und seiner Gewandtheit in Entscheidung von Streitigkeiten. Er kannte das muselmännische Gesetz sehr gut, und die Strenge seiner Gerechtigkeit gewann ihm die Liebe der großen Masse seiner Araber, obschon sie ihn bei vielen seiner Scheikhs verhasst machte. Von der Zeit an, wo seine Herrschaft begann, focht er nicht persönlich in der Schlacht, sondern leitete immer seine Armee von einem Standpunkt aus, welcher in einiger Entfernung hinter derselben lag. Die Araber erzählen, dass er in einem Alter von 12 Jahren einst an der Seite seines Vaters, Abd el Azyz, in einer Schlacht gefochten habe.

Von seinem Weibe, die jetzt nicht mehr lebt, hatte er acht Kinder. Der älteste der Söhne, Abdallah, welcher bei Lebzeiten seines Vaters den zweiten Platz in seinem Gebiet einnahm, folgte ihm nach seinem Tod in der Regierung. Man erzählt, dass Abdallah schon in einem Alter von fünf Jahren seine Stute reiten konnte. Er hat sich durch Mut mehr ausgezeichnet, als sein Vater, da es für ihn beständige Regel ist, bei jeder Gelegenheit persönlich am Kampf Anteil zu nehmen. Solange noch Saud lebte, wurden dem Abdallah große Geistesfähigkeiten zugeschrieben, und man betrachtete ihn als ein Wunder der Weisheit und des Scharfblickes; aber die Maßregeln, welche er gegen Mohammed Aly ergriff, scheinen zu beweisen, dass er in dieser Hinsicht keineswegs die Fähigkeiten seines Vaters besaß. In der Wüste schätzt man ihn wegen seiner Freigebigkeit und seiner geselligen Sitten. Er heiratete ein Mädchen aus dem Stamme Qab in der Provinz Hassa. Von seinen Brüdern hat sich Faysal unter den Arabern am meisten berühmt gemacht und gilt dabei für den schönsten und liebenswürdigsten Mann in Derayeh. Für diesen besitzen die Araber große Anhänglichkeit. Er hat an vielen Schlachten in Hedschaz gegen die türkischen Truppen Anteil genommen. Naszer war der Liebling Sauds; er blieb bei einer Unternehmung gegen Maskat. El Turky befehligte fliegende Korps der Wahaby in Irak und gegen Syrien. Von seinem dritten Weibe hatte Saud drei Söhne, Omar, Ibrahim und Feheyd.

Saud gestattete nie seinen Kindern einen Einfluss auf öffentliche Angelegenheiten. Eine Ausnahme fand beim ältesten Sohn Abdallah statt, welcher an allen Beratschlagungen Anteil nahm. Er hatte aber seine Kinder ausnehmend lieb. Die Einwohner von Mekka erzählen noch immer mit Vergnügen, dass Saud einst zur Zeit der Wallfahrt unter dem Tore der Kaaba gesessen habe, während seine Leute dieses Gebäude mit dem neuen Tuche bekleideten und zahlreiche Pilger den Weg um den Tempel herum machten. In demselben Augenblick erschien das Weib seines Sohnes Feheyd und hielt in ihren Armen eins ihrer Kinder. Sie war eben der Wallfahrt halber nach Mekka gekommen und eilte auf den Saud zu, um ihm das Kind zu zeigen, welches er vorher noch nicht gesehen hatte. Er nahm es ihr ab, küsste es zärtlich und drückte es in Gegenwart aller versammelten Pilger lange Zeit an sein Herz.

Außer seinem Weibe hatte Saud, nach der Gewohnheit der vornehmen Leute in Nedschid, noch mehrere abessinische weibliche Sklaven, oder Konkubinen. Er wohnte mit seiner ganzen Familie in einem großen Hause, welches sein Vater an den Abhang des Berges etwas über die Stadt Derayeh gebaut hat. Alle seine Kinder mit ihren Familien und alle seine Brüder hatten in diesem Gebäude ihre abgesonderten Zimmerreihen. Gegen seine Brüder soll er einigen Argwohn genährt haben. Er stellte sie nie an einen Posten, wo er ihnen Vertrauen hätte beweisen müssen, erlaubte auch niemals, dass sie Derayeh verließen. In diesem Hause verwahrte er seine Schätze und gab allen denen Audienz, welche Geschäfte halber zu ihm nach Derayeh kamen. Dort wohnten die großen Emirs, oder die Häuptlinge bedeutender Stämme und wurden bei ihrer Ankunft bewirtet, während Leute niederen Ranges bei ihren Bekannten in der Stadt wohnten; kamen sie aber in Geschäftsangelegenheiten, so konnten sie auch im Hause des Oberhauptes zu Mittag, oder zu Abend essen und daher das Futter für ihre Pferde, oder Kamele beziehen. Man kann sich leicht vorstellen, dass der Palast beständig voller Gäste war.

Saud gewährte sehr leicht jedermann den Zutritt, aber eine Privatzusammenkunft ohne seinen besonderen Wunsch zu erhalten, war sehr schwer. Er hatte mehrere Ägypter, die als Türsteher dienten und gegen ein Geschenk zu ungewöhnlichen Stunden Leute in die inneren Gemächer zuließen. Die sicherste Art, Privatzutritt zu erhalten, bestand darin, vor dem inneren Gemache zu warten bis irgendein großer Scheikh kam, um mit seinen Dienern einzutreten. Saud gab öffentliche Audienzen, früh des Morgens, ferner zwischen drei und sechs Uhr des Nachmittags und endlich spät des Abends. Nach dem Abendessen versammelte er regelmäßig alle seine Söhne, die zu Derayeh waren, im großen Zimmer; und alle diejenigen, welche ihm die Aufwartung zu machen wünschten, begaben sich in diesen Familienzirkel. Einer der Ulama las alsdann einige Seiten des Koran, oder der Überlieferungen Mohammeds und erklärte den Text nach den Kommentaren der besten Schriftsteller. Nach diesem hielten andere Ulama Vorlesungen auf dieselbe Weise, und Saud selbst schloss die Versammlung jederzeit damit, dass er das Buch nahm und jede schwierige Stelle erklärte. Man behauptet, dass er jedem Ulama an Kenntnis religiöser Streitfragen und des Gesetzes im Allgemeinen gleichkam, ja ihn vielleicht übertraf. Seine Beredsamkeit wurde allgemein bewundert. Seine Stimme war äußerst sonor und zugleich angenehm, weshalb die Araber sagten: „Dass alle seine Worte zu Herzen gingen.“ Bei diesen Gelegenheiten war Saud der einzige Sprecher; aber es ereignete sich oft, dass Punkte des Gesetzes diskutiert wurden; und dies erregte manchmal seine Ungeduld und bewog ihn, mit großer Heftigkeit zu disputieren, seinen Gegner zu verspotten und auf ihn wegen seiner Unwissenheit in den Kontroverspunkten zu sticheln. Nachdem er auf diese Weise etwa eine Stunde lang fortgefahren hatte, schloss er in der Regel mit folgenden Worten: „Wa Allahu aalem“ (Gott weiß es am besten); und diejenigen, welche sein besonderes Geschäft bei ihm hatten, betrachteten diesen Ausdruck als das Zeichen zum Weggehen. Personen dagegen, welche mit ihm Geschäfte zu verhandeln hatten, blieben bei ihm bis zwei Stunden nach Sonnenuntergänge. Diese Gesellschaften fanden bei ihm jeden Abend statt.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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