Das ganze offene Land von Arabien und alle Städte des inneren waren ehedem demselben ungeordneten Zustande des Gesetzes unterworfen, der noch immer unter denjenigen Stämmen besteht, welche sich den Wahaby noch nicht unterworfen haben, und die ich in meiner Schilderung der Beduinen beschrieben habe. Abd el Azyz und Saud lehrten ihre Araber dem Gesetze gehorchen, öffentlichen Frieden zu erhalten und in ihren Streitigkeiten sich an den Ausspruch eines Tribunales zu halten, ohne zu den Waffen zu greifen. Abd el Azyz sendete zuerst Kadhis in alle Distrikte, welche unter ihm standen. Er wählte dieselben aus den Tüchtigsten und Redlichsten seiner Gelehrten, wies ihnen jährliche Besoldungen aus dem öffentlichen Schatz an und verbot ihnen, Sporteln[1] oder Bestechungen von den streitenden Parteien anzunehmen. Diese Kadhis mussten nun nach den Gesetzen des Koran und der Sunna entscheiden. Alle Araber hatten ihre Streitigkeiten denselben vorzutragen, konnten aber nach der Zeit an das allgemeine Oberhaupt appellieren.
Das nächste Bestreben war, das Land gegen Räuber zu sichern. Ehe Abd el Azyz hinlängliche Macht erlangt hatte, war ganz Nedschid und in der Tat ganz Arabien nach jeder Richtung mit feindlichen Parteien bedeckt, und die große Zahl unabhängiger Staaten machte es unmöglich, einen festen inneren Frieden herzustellen. Abd el Azyz und noch mehr sein Sohn Saud machten die Araber verantwortlich für jede Räuberei, welche innerhalb ihres Gebietes begangen worden war, im Fall der Räuber nicht bekannt sein sollte; und diejenigen, welche hinlänglich mächtig waren, einen feindlichen Überfall eines Lagers, oder einer Stadt zurückzuschlagen, oder demselben Widerstand zu leisten, und denen es an Lust, oder Mut dazu fehlte, wurden mit einer Buße belegt, welche dem Werte des geraubten Viehes, oder Eigentums gleichkam. So wurde jeder Stamm wachsam gemacht, nicht nur das Eigentum der Nachbarn, sondern auch dasjenige der Fremden zu beschützen, welche durch sein Gebiet reisten, sodass öffentliche und Privaträubereien unter den Landwirten sowohl, als unter den Beduinen Arabiens fast gänzlich aufhörten, obschon letzteren ehedem nichts so sehr Vergnügen gemacht hatte, als Rauben und Plündern. Zum ersten Mal vielleicht seit den Tagen Mohammeds kann ein einzelner Kaufmann mit vollkommener Sicherheit durch die Wüsten Arabiens ziehen, und die Beduinen können jetzt ohne die Befürchtung sich niederlegen, dass ihr Vieh durch nächtliche Räuber fortgeführt werde.
Die beiden Oberhäupter der Wahaby scheinen besonders dahin gestrebt zu haben, dass ihre Araber der lang bestehenden Gewohnheit entsagen möchten, die Bestrafung eines Feindes mit eigener Hand zu bewerkstelligen und ihm Wiedervergeltung zu Teil werden zu lassen. Sie bemühten sich deshalb beständig und ganz besonders Saud, die Blutrache abzuschaffen und die Araber dahin zu bringen, dass sie sich mit einem bestimmten Preise für das Blut eines Verwandten begnügen möchten; aber in dieser Hinsicht wollte es dem Oberhaupt nie vollständig gelingen. Er hat häusig eine Familie, welcher ein Mitglied erschlagen worden war, gezwungen, die Buße anzunehmen, sobald sie von Seiten des Totschlägers angeboten wird. Ist aber irgendeine Handlung der Rache vorgefallen, ehe er hinsichtlich der Buße Befehl geben kann, so straft er den Mann nicht, der Gebrauch von den alten Arabischen Rechten gemacht hat.
Wenn unter seinen Untertanen Streitigkeiten entstehen, bei welchen es zu Schlägen kommt, und wenn sich die Verwandten beider Parteien der Sache ihrer Freunde annehmen, wie es in Arabien gewöhnlich ist, und im Handgemenge Blut vergießen, so verurteilt Saud alle diejenigen ohne Barmherzigkeit, welche sich in die Sache gemischt haben, und bestraft sie entweder damit, dass er ihnen ihre Pferde, ihre Kamele und Waffen wegnimmt, oder auch, dass er ihr Eigentum für den öffentlichen Schatz konfisziert.
Sollte in einem Streite zwischen Arabern einer seinen Dolch ziehen und die anderen verwunden, so bestrafte Saud diejenigen, welche dabei standen, sehr hart, dass sie die Sache hatten so weit kommen lassen. Wenn, ungeachtet der Gesetze gegen den Krieg, zwei Stämme Feindseligkeiten anfangen, so sendet Saud sogleich Boten an die Scheikhs und besteht auf einer Versöhnung, legt jedem Stamm eine Strafe auf und zwingt sie, sich gegenseitig den Preis des Blutes für diejenigen zu bezahlen, welche bei dem ersten Angriff erschlagen worden sind. Ganze Stämme mussten ihre öffentlichen Streitigkeiten vor den Richterstuhl Sauds bringen, dessen Autorität so gefürchtet war, dass, wie bekannt, ein einzelner Negersklave seines Haushaltes auf seinen Befehl einen großen Scheikh in der Mitte seines Lagers arretieren[2] und gefangen nach Derayeh führen durfte.
Saud galt allgemein für einen Mann von unbestechlicher Gerechtigkeit, war nur in seinen Entscheidungen gegen Übertreter des Gesetzes allzu streng. Sein durchdringender Scharfblick setzte ihn bald in den Stand, zu entdecken, ob ein Zeuge falsch aussagte; und einen solchen bestrafte er immer auf eine exemplarische Weise. Seine Bestrafungen waren indessen nicht grausam, und man hat mir versichert, dass seit dem Tode seines Vaters nur 4, oder 5 Personen zu Derayeh hingerichtet worden sind.
Da die Beduinen selten Geld besitzen, so straft er sie an Pferden, Kamelen und Schafen. Diese Strenge nun ist es, welche ihm unter seinen eigenen Arabern so viele Feinde gemacht hat. Er nimmt nie Rücksicht auf den Schutz, welchen andere Araber einem Verbrecher zugestanden haben. Er hat die Gesetze des dakheil[3] in seinem ganzen Gebiete abgeschafft, soweit sie nämlich darauf hinauslaufen, irgendeine Person vor der Hand der Gerechtigkeit zu schützen. Wenn ein Araber einen anderen getötet hat, so kann er sich in den Schutz eines Freundes begeben, um sich vor der unmittelbaren Rache der Verwandten des Getöteten zu sichern. Unter diesem Schutze kann er aber nur so lange bleiben, bis ihn das Gesetz ruft, und muss ihn dann aufgeben.
Die großen Scheikhs gestehen solchen Personen, die geringer Verbrechen angeklagt werden, eine Art von Schutz zu. In solchem Falle begibt sich ein Araber, welcher sich fürchtet, vor Saud zu erscheinen, unter den Schutz irgendeines Scheikhs, welcher Einfluss auf das Oberhaupt besitzt. Dieser Scheikh verwendet sich nun für ihn und bringt es in der Regel bei Saud so weit, dass die ganze Strafe erlassen, oder in eine kleine Buße verwandelt wird.
________________________________
[1] Singular Sportel; von lat. sportula, Geschenk / waren ursprünglich das Entgeld, das Untertanen für gerichtliche Handlungen oder sonstige Amthandlungen zu entrichten hatten
[2] auch: festnehmen
[3] eine beduinische Tradition der bedingungslosen Inschutznahme