Frühe gelehrte Staatsschelte: Was schrieb der Schüler Ibn Hanbals böses über die Staatsmacht?

von Yahya ibn Rainer

Das folgende Fundstück wurde ursprünglich um das Jahr 2008 auf der Internetseite des ORF (Österreichischer Rundfunk) publiziert. Später fand man Artikel zum gleichen Inhalt auf einigen wenigen anderen Medienplattformen. Verbreitung fand dieser Stoff jedoch damals vor allem in sogenannten „salafistischen“ Kreisen und so verschwanden nach und nach die Beiträge wieder aus dem Netz. Leider hatte ich damals – aus Angst vor Copyright-Verletzungen – nur eine kurze Einleitung des Textes kopiert und diese im Anschluss mit einem Hyperlink zum ORF-Beitrag versehen.

Nun wurde auch beim ORF der Beitrag gelöscht und meine Google-Suche ergab, dass es im gesamten Internet keinen einzigen Hinweis mehr auf diese Handschrift gibt.

Munition für Islamisten?

Wenn Stefan Leder an die unveröffentlichte arabische Handschrift aus dem 9. Jahrhundert denkt, die seit einigen Jahren in seinem Büro liegt, wird ihm manchmal ganz mulmig. Denn der Direktor des Deutschen Orient-Institutes glaubt: „Das ist Munition.“

Leder befürchtet, dass der Text über das Verhältnis der frommen Muslime zu ihren Herrschern, den er Anfang der 90er Jahre in der hintersten Ecke einer syrischen Bibliothek entdeckt hatte, von radikalen Klerikern und ihren militanten Anhängern zur Rechtfertigung von Terroranschlägen missbraucht werden könnte. Deshalb hatte er bisher gezögert, die Handschrift, die er mit viel Mühe entziffert und übersetzt hat, zu veröffentlichen.

„Sich ihnen zu nähern, bedeutet, im Höllensud zu baden“

Denn nach Leders Einschätzung ist die Schrift von Abu Bakr al-Marrudhi aus Bagdad möglicherweise das Radikalste, was in den ersten zwei Jahrhunderten nach dem Tod des Propheten Mohammed überhaupt über das Verhältnis zwischen Gläubigen und Herrschern geschrieben wurde. Sie ruft im Prinzip zur Missachtung der staatlichen Autorität auf und warnt die islamischen Gelehrten davor, dem Kalifen nach dem Mund zu reden, weil Gott sie dafür bestrafen werde. In dem Text heißt es über die Herrscher beispielsweise: „Sich ihnen zu nähern, bedeutet, im Höllensud zu baden.“ Der fromme Muslim solle sich von den korrupten Herrschern möglichst fernhalten und auch die Autorität der Justiz nicht akzeptieren. „Das ist kämpferisch und beleidigend“, findet Leder.

„Endloskette von Missverständnissen und Fehlinterpretationen“

Dass diese radikale Anti-Haltung gegenüber den Kalifen der Omajaden- und Abbasiden-Dynastien im 21. Jahrhundert von Al-Kaida-Terroristen und anderen Extremisten zur Rechtfertigung von Anschlägen auf staatliche Einrichtungen missbraucht werden könnte, lässt sich vielleicht wirklich nicht ausschließen. Vor allem, weil Marrudhi, der Verfasser des Textes, ein enger Vertrauter von Ibn Hanbal war, dessen Schüler die islamische Rechtsschule der Hanbaliten gründeten. Auf diese Rechtsschule berufen sich im Prinzip alle sunnitischen Terrorgruppen.

[…]

[Dies war der weiterführende Link zum ORF-Beitrag >>]

EDIT: Gestern teilte mir ein Bekannter mit, dass der ORF-Beitrag wieder verfügbar ist, es musste nur eine geringfügige Änderung der URL-Endung vorgenommen werden. Der obige Link führt also wieder zu einem Ziel. (Hamburg, den 02.12.2015)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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