Imam al-Ghazali: Von den Übeln des Disputierens und Mahnens

Der folgende Text ist ein Schreiben von Imam al-Ghazali – Allah sei ihm gnädig -, das von den Übeln des Disputierens (Diskutierens) und Mahnens handelt und erläutert, inwieweit daran verwerfliche Triebe teilhaben.

Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen

Rat zu erteilen und Rat zu begehren, ist beides ein Leichtes. Schwierig ist es Rat anzunehmen, insbesondere für jemanden, der nach Wissen und Vorzügen strebt und glaubt, dass es genüge, zu wissen, und der zu handeln versäumt, obgleich er dessen doch zu allererst bedarf, da die Beweise für seinen Fall vorhanden sind, denn:

„Derjenige, der am Tage der Auferstehung unter allen Menschen am meisten der Qual ausgesetzt sein wird, ist ein mit Wissen begabter, dessen Wissen vor Allah ohne Nutzen ist !“

Wenn du also Glückseligkeit im Jenseits begehrst und das Wissen nicht gegen dich zeugen soll, dann hüte dich vor 4 Dingen:

1. Disputiere (diskutiere) nicht; denn der Gewinn dabei ist nicht mehr als eine Genugtuung und das Erwerben von Geschicklichkeit, doch die Übel dabei sind zahlreich. „Wahrlich, sein Schaden ist grösser als sein Nutzen“. Ist es doch Quelle aller verabscheuungswürdigen Eigenschaften, wie der Heuchelei, des Neids, der Arroganz und anderem. Ergibt sich aber eine Schwierigkeit und ist es erforderlich das, was wahr ist, herauszufinden, dann ist mit dieser Absicht das Disputieren gestattet, unterliegt aber zwei Bedingungen:

a) Das es keinen Unterschied macht, ob die Wahrheit durch deine Zunge ans Tageslicht kommt oder durch die Zunge des Gegners.

b) Das dir die Diskussion im engen Kreis lieber ist als in der Menge.

2. Das du keine Mahnung erteilst und vor Augen hast, was zu Isa -Allah schenke ihm Heil- gesprochen ward:

„O Sohn Marias, mahne dich selbst, und hast du dich gemahnt, dann mahne die Leute; sonst aber schäme dich vor mir.“

Wenn du aber aus Pflichten den Verwandten gegenüber von diesem Übel betroffen wirst, dann hüte dich vor 2 Dingen: Einmal hüte dich vor übermäßigen Schönredereien und Deuteleien, vor endloser Reimprosa, denn Allah – der Hocherhabene – ist denen, die sich gekünstelt geben, feind. Die Künstelei der Reimprosa aber, die jemand von sich gibt, ist ganz besonders der Beweis für ein verderbtes Inneres und ein sorgloses Herz. Liegt doch der Sinn des Mahnens darin, dass die Gefahr vor dem Unglück im Jenseits wie Feuer ins Herz falle und dem Menschen die Ruhe raube. Die sengende Lohe des Feuers und die Wehklage vor dem Unglück wird Mahnung geheißen. Wenn sich eine Wasserflut gegen jemandes Haus wälzt und die Gefahr besteht, dass sie gleich das Haus zerstören und die Kinder dem Untergang weihen wird, dann schreit der ins Haus: „Achtung! Achtung! Flieht! Die Flut kommt!“ In dem Moment wird er kaum an Reimprosa und gekünstelte Schönrederei denken, oder doch?!

Genau so verhält es sich mit einem Mahner der Menschen. Auch sollst du dein Herz davor in Acht nehmen, dass die Leute das Heulen und Schluchzen ankommt, sie Zustände bekommen und Tumult in der Versammlung bringen, bloß, damit man nachher sagt: „Es war eine faszinierende Versammlung.“ Denn all dies ist ein Beweis für Sorglosigkeit und Heuchelei. Vielmehr mögest du danach streben, ihren Blicken (qibla) von dieser Welt zum Jenseits zu lenken, von der Gier zum Verzicht (auf weltliche Freuden), von der Sorglosigkeit zur Wachsamkeit, so dass von den Eigenschaften ihres Inneren etwas gewandelt ist, wenn sie die Versammlung verlassen, oder doch in ihrem äußeren Wandel eine Spur hinterlassen wird, sie in ihrem lauen Gehorsam strebsamer werden und vorm Sündigen, bei dem sie so viel Mut beweisen, Angst bekommen. Das heißt es, zu mahnen! Alles andere sind Sünden, die der Vortragende an sich und am Zuhörer begeht.

3. Das du dich nicht zur Begrüßung eines Herrschers begibst und natürlich mit ihnen keinen Umgang pflegst. Denn die Versuchung für den, der mit Herrschern zusammensitzt, ist groß. Wer notgedrungen vor ihnen erscheinen muss, der möge darauf verzichten, sie zu rühmen, zu preisen und sich lang in ihrem Lobe zu ergeben. Und ebenso soll man es halten, wenn sie eine Versammlung besuchen.

„Denn Allah zürnt, wenn der Frevler gelobt wird. Und wer Allah um ein langes Leben für einen Unterdrücker bittet, der liebt es, dass er sich auf Erden gegen Allah auflehnt“.

4. Du sollst nichts von Herrschern annehmen, wäre es auch gesetzlich erlaubt. Denn deren Verlangen nach Geld und Herrschergewalt ist die Ursache des Verfalls der Religion, und nähmest du etwas von ihnen, führte das notwendigerweise zu heuchlerischer Schmeichelei, zur Befürwortung des Unrechts und zum Einverständnis mit ihm, und das alles führt ins Verderben.

Diese 4 sind Gefahren, vor denen man auf der Hut sein muss und die man meiden muss. Das aber, was zu tun ist, sind 4 elementare Dinge; in die solltest du deinen Eifer setzen.

1. Einmal, dass Handeln und Wandeln zwischen dir und den Menschen so vor sich gehen, dass, würde man mit dir so verfahren, es dir passte und du es billigen würdest.

„Bevor der Mensch den Nächsten nicht wie sich selbst liebt, ist sein Glaube nicht vollkommen.“

2. Das du im Handeln und Wandeln vor Allah – dem Hocherhabenen – so verfährst, dass, würde einer deiner Diener dir gegenüber so verfahren, es dir passen würde. Alles aber, was dir von Seiten deines Dieners für einen wahrhaften Diener nicht zu passen scheint, dass soll dir selbst Allah – dem Hocherhabenen – deinem Herrn gegenüber nicht gefallen.

3. Wenn du dich mit dem Studium der Wissenschaft beschäftigst, dann mögest du dich mit einer solchen Wissenschaft beschäftigen, der du dich widmen würdest, wüsstest du, dass du in einer Woche sterben wirst. Das wäre dann nicht Poesie, nicht die Kunst, Abhandlungen zu schreiben, nicht die Kontroverse und nicht die spekulative Theologie. Wüsste jemand, dass er in einer Woche sterben wird, der würde sich, wenn er vor Allah-swt- mit Erfolg bestehen will, nur der Betrachtung und Erkundung seiner eigenen Eigenschaften widmen, sich von den Bindungen an diese Welt und allem, was ihn nicht mit Allah – dem Hocherhabenen – verbindet, frei machen und sich mit der Liebe zu Allah – dem Hocherhabenen – schmücken und mit Eigenschaften, mit denen er vor Allah – dem Hocherhabenen – glänzen kann. Wenn jemand die Kunde bringt, dass noch in dieser Woche ein Engel zu seiner Begrüßung erscheinen wird, dann wird der sich mit nichts anderem beschäftigen als mit dem, worauf der Blick des Engels fallen wird und sich, seine Kleidung und sein Haus vom Schmutz reinigen und sie mit schönen Dingen schmücken.

„Doch wahrlich, Allah-swt- blickt nicht auf eure Gesichter und Werke, sondern er blickt auf eure Herzen und auf eure Absichten.“

[…]

4. Das du so viel an weltlichen Gütern erwirbst, wie du erwürbest, wüsstest du, dass du in einem Jahr in die andere Welt eingehen wirst. Das ist das genügend Maß, das der Gesandte Allahs – Allah segne ihn und schenke ihm Heil- seinem Hause zubilligte, als er sprach: „Oh Allah, gib dem Hause Muhammads sein genügend Maß an Lebensunterhalt!“ Und weiter spricht er – Allah segne ihn und schenke ihm Heil -: „Wer von der Welt mehr als sein genügend Maß nimmt, der tut sich am Aas gütlich ohne es zu wissen.“

Friede sei mit euch!

[Quelle: Makatib-i Farsi-i Gazzali ba-nam-i Faza’il al-Anam min Rasa’il Huccat al-Islam]

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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