Wirtschaftslehre/Ökonomie: Beziehungen und Einflüsse zwischen den ökonomischen Denkschulen

Wirtschaftslehre/Ökonomie: Beziehungen und Einflüsse zwischen den Ideen muslimischer Gelehrter, der christlichen Scholastik und der griechischen Philosophie

Insgesamt lassen sich verschiedene Beziehungen zwischen den Ideen muslimischer Gelehrter, denen der griechischen Philosophie und der christlichen Scholastik mit Hilfe des folgenden Diagramms erklären.

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Die Kategorien 1, 2 und 3 stehen für die konkreten Vorstellungen jeder Identität, die einander widersprechen.

Die Kategorie 4 zeigt solche Ideen, die Muslime und Griechen gemeinsam haben, die aber dem Christentum fremd oder entgegengesetzt sind.

Die Kategorie 5 zeigt Ideen, welche Muslime mit dem Christentum gemeinsam haben, während Kategorie 6 Vorstellungen aufzeigt, welche das Christentum und die griechische Philosophie gemeinsam haben, die aber der islamischen Tradition fremd sind.

Die Kategorie 7 vereint solche Ideen, die allen 3 Systemen gemeinsam sind.

Im Fall der Kategorien 1, 2 und 3 versuchten muslimische Gelehrte die griechischen Ideen zu interpretieren, um – wo es möglich war – eine Synthese zur muslimischen Lehre herzustellen. Wo eine Synthese nicht möglich war, haben sie die griechischen Ideen einer Kritik unterzogen und sie widerlegt.

Da das Christentum mit den selben Problemen konfrontiert war, bedienten sich die Scholastiker an diesen (muslimischen) Argumenten (wenn es ihnen zum Vorteil gereichte), zumeist jedoch ohne die Quellen zu würdigen. In diesen Bereichen sind allgemeinhin philosophische und metaphysische Ideen vorzufinden. Wenn jedoch die Interpretation eines muslimischen Gelehrten in Konflikt mit dem christlichen Dogma geriet, wurde die Quelle von ihnen genannt und explizit auf den Fehler hingewiesen.

Gleiches ist der Fall in den Kategorien 4 und 6. Die Scholastiker wiesen auf (aus ihrer Sicht) dogmatische Irrtümer hin und muslimische Gelehrte wurden namentlich (dafür) verurteilt.

Ein Beispiel: Im Jahre 1277 n. Chr. publizierte Stephan Tampier, der Bischof von Paris, eine Liste von Ideen des muslimischen Gelehrten Averroës (Abū l-Walīd Muḥammad bin Rušd), die von ihm allesamt verurteilt wurden (Durrant, Will, The Story of Civilization: The Age of Faith, New York: Simon & Schuster, 1950, Vol. 4., pp.57-58). Thomas von Aquins Antrieb, seine Summa Theologiae zu schreiben, lag u.a. darin, die drohende Liquidierung der christlichen Theologie aufzuhalten, die durch die arabischen Interpretationen von Aristoteles drohte. (ibid., p. 913). Tatsächlich trieb Thomas von Aquin also nicht die Liebe zu Aristoteles an, sondern vielmehr die Angst vor dem muslimischen Gelehrten Averroës. (ibid., p. 954) Im Grunde war dies eine Anerkennung, mit einer schlechten Absicht allerdings.

Solcherlei Bezugnahmen sind nicht selten, auch in zeitgenössischen Texten die die Beiträge muslimischer Gelehrter zur Wirtschaftslehre vollkommen außer Acht lassen.

Ein Beispiel: Während er muslimische Beiträge zum Wirtschaftlehre vollständig ignoriert, erwähnt Roll die Muslime lediglich als „Beutekrieger“ (‘….. Moslems who had begun as raiding warriors ….’) (Roll, Eric, A History of Economic Thought, Homewood/Illinois, Richard D. Irwin In., 1974, p. 42). Selbst die kategorische Würdigung der Araber für das individuelle Eigentumsrecht, wird von Ashly als eine „Selbstsucht der Heiden“ dargestellt (Ashly, William J., An Introduction to English Economic History and Theory, New York: G.P. Putnam and Sons, 2 Vols., 1893-1906, p. 128) – eine gängige Anspielung auf die Muslime, die möglicherweise von den Scholastikern entlehnt wurde.

Auch Whittaker machte sich nicht die Mühe die Beiträge muslimischer Gelehrter zur Wirtschaftstheorie zu erwähnen, jedoch vergas er nicht daran zu erinnern, dass „die Machtausbreitung der Mohammedaner nicht nur die Existenz des Ostens oder Byzanz‘ bedrohte, mit Fokus auf Konstantinopel, sondern dass die Mohammedaner nach der Eroberung Nordafrikas sich auch in Spanien und Sizilien ausbreiteten“. (Whittaker, Edmund, Schools and Streams of Economic Thought, London, John Murray, 1960, p. 21) Er sagt weiter: „Der schikanöse und riskante Überland-Handel mit Asien wurde durch einen relativ einfachen Seeweg ersetzt, der bei alledem auch noch frei war von der Bedrohung durch die Mohammedaner“ (ibid., p. 22). Was hier als „Bedrohung“ bezeichnet wird, war übrigens die Handelskonkurrenz, die von solchen Muslimen ausging die selber Händler waren.

Die Kategorie 5 kennzeichnet dogmatische Harmonien zwischen dem Islam und dem Christentum. Hier bediente man sich vonseiten der Christen im vollen Umfang an den Ideen muslimischer Gelehrter, jedoch auch hier zumeist ohne Würdigung der Quellen. Zum Beispiel der spanische Dominikanermönch Raymond Martini, der sich sehr ausgiebig bei den Ideen von Algazel  (Abū Hāmid Muhammad al-Ghazālī) bediente, welche er aus den Werken Tahafut al-Falasifah, al-Maqasid, al-Munqidh, Mishkat al-Anwar und Ihya Ulum ad-Din entnahm, wiederum ohne Bezug auf die Quelle nehmen. (Sharif, M.M., A History of Muslim Philosophy, Weisbaden: Otto Harrassowitz, 2 Vols., 1966, p. 1361)

Die Kategorie 7 ist als dogmatisch neutral zu bezeichnen. Auch in diesem Bereich, wie oben bereits erwähnt, zögerten die Scholastiker nicht, sich ausgiebig an den Ideen der anderen Denkschulen zu bedienen, wobei sie, sofern sie das Bedürfnis hatten auf die Quelle zu verweisen, sich vornehmlich auf griechische Gelehrte bezogen. In den Worten Daniels (Daniel, Norman, The Culture Barrier: Problems in the Exchange of Ideas, Edinburgh, Edinburgh University Press., 1975, pp. 76-77): „Es gab eine spontane und allgemein anerkannte Übereinstimmung darüber, was annehmbar und was abzulehnen sei; was übernommen wurde, entsprach entweder einer kulturellen Gemeinsamkeit oder war kulturell neutral. Der Großteil d(ies)er wissenschaftlichen Erkenntnis war kulturell neutral. Diese kulturelle Neutralität wurde lediglich in einem gewissen Umfang dadurch absorbiert, dass diese Erkenntnisse ein gemeinsames Erbe der arabischen Welt als auch Europas darstellten.“

Es sei darauf hingewiesen, dass die meisten ökonomischen Ideen zu den Kategorien 6 und 7 gehören, also zu denjenigen, die ohne weitere Würdigung der Quelle von den Scholastikern übernommen wurden. Und auch wenn diese Tatsachen heute geleugnet werden oder einfach in Vergessenheit geraten sind, so ändert dies nichts daran, dass es ein Faktum ist, das zumindest heute einer nachträglichen Anerkennung würdig sein sollte.

[Basierend auf der Arbeit von Prof. Dr. Abdul Azim Islahi in seiner Publikation Contributions of Muslim Scholars to Economic Thought and Analysis]

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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