H. H. Frank über den Sufismus (7. Teil)

„Diese wirtschaftlichen Fragen sind bereits international geworden, d. h. derselbe Zustand, dessen Bestehen in Europa zur Zeit weder geleugnet, noch durch die Staatsreligion geändert werden kann, erfährt eine Ausdehnung über den Erdball, weil die Kulturmittel, um sich wirtschaftlich halten zu können, vom ganzen Erdball getragen werden müssen.

Nun sahen wir, daß dem Europäer nur noch der Orient gegenüber steht, wo der Zwang an den zu teuren Kulturmitteln mittragen zu müssen, noch nicht allgemein geworden ist. Und es scheint, daß der Orient, weil er politisch und wirtschaftlich schwach ist, wird unterliegen müssen. Wir musterten nun alle seine Kräfte und die Einzelheiten seiner Kultur und fanden an dem Verhalten des Europäers im Orient, daß diese seine Kultur bisher noch zu stark ist, um die Pioniere im Orient nicht doch an der Weiterarbeit zu hindern. Wo immer Europäer Fuß fassen, wird dem Orientalen sofort das Leben verteuert. Können wir uns wundern, wenn die Waffen murren? Es erfand sich ferner, daß der Orient an Religion das noch besitzt, was wir in Europa so schmerzlich daraus vermissen. Aber es wird – vermöge der wirtschaftlichen, staatlichen und rechtlichen Schwächen der Verhältnisse – dem Orientalen in einer Form geboten, die nur Kritik reizt. Und da sehen wir eine Schar, die ohne jede Feindschaft und bei völlig friedlichem Zusammenleben – gleichwohl genötigt ist, aus dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenhange aus der Gesellschaft ganz herauszutreten. Wir erkannten aber gleichzeitig, daß die Form keine allgemein mögliche, sondern eine orientalische ist, daher direkt auf das Abendland nicht angewandt werden kann.

Es fällt uns daher die Aufgabe zu, aus dem Sufismus das auszulesen, was in anderer Form und in seiner Allgemeinheit auch auf das Abendland anwendbar sein könne.

Indem nun alle, denen die materielle Richtung unserer Zeit Übelkeit verursacht, zur gemeinsamen Mitarbeit augefordert werden, geben wird das in bester Meinung gesagte in der Hoffnung, daß dabei jede persönliche Empfindlichkeit dem Ernst weiche.

Während wir dabei nach einer obersten Richtschnur unseres Handelns suchen, kommen wir auf das im ersten Buche vorgebrachte zurück. Nach dem dort entwickelten Indifferenzgesetz sind die Summen von Genuß und Arbeit konstante Verhältnisse, daher nichts verkehrter als einfach die Askese vorzuschlagen. Eine starke Tendenz dazu ist auch im Sufismus vorhanden, nur ist dies ein mit dem Heraustreten aus dem wirtschaftlichen Konnex verbundenes notwendiges Übel. Eine Verpflichtung dazu ist daher nur in einem ähnlichen Sinne da, als etwa jeder Christ, gemäß der Forderung, die der Herr an den reichen Jüngling stellte, zuvor ein Bettler werden müßte, um ihm nachzufolgen. Die Meinungen über die Askese haben übrigens in großen Zügen auf der Weltbühne ihre Geschichte gehabt. Die Möncherei hatte schon zu Muhammeds Zeiten die Alleinherrschaft verloren, daher er aussprach (la rahbanijat fil islam) „Möncherei kennt der Islam nicht.“

Der Entschluß, mit allem Besitz auch alle Sorgen fortwerfen zu wollen, enthält in der Ausführung denselber Fehler, wie die entgegengesetzte Meinung, aller Sorgen ledig zu werden, wenn man plötzlich in den Besitz von recht viel Geld käme. Askese im hohen Stil wäre dem einzelnen in europäischer Gesellschaft auch kaum möglich. Stellen wir uns vor z. B. in einer europäischen Großstadt wolle einer mit Gewalt durchsetzen, wie ein Diogenes in der Tonne zu leben, sich in Sacktuch kleiden, und sich moralisch gegen die Zwangsmaßregeln der bürgerlichen Gesellschaft wehren, so würde er hinter Mauern und Riegeln, im wildesten Falle denen eines Irrenhauses enden.

 Das eben berührte Gegenteil (sich mit vielem Gelde von seinen Sorgen heilen zu wollen) ist ein Experiment, das nicht jeder direkt ausführen kann, – woher das Probegeld nehmen? – vielleicht aber die meisten ausführen sich bereit erklären würden. Denn es ist eine naive Wahrheit unserer Tage, die zwar keiner kraß so auszusprechen wagt: daß die Skala des Vermögens und Reichtums, die Skala des Behagens und Glücks ist, aner alle (?) handeln, als ob es so wäre! Und in der ganzen großen Frage des Klassenkampfes hört man absolut nichts anderes als die Frage der materiellen Aufbesserung, als wenn diese ohne alle Diskussion sich mit dem Zustande höheren Behagens, höheren Glücks direkt deckte.

Aber damit legen wir gerade den Finger auf die Wunde<: in der Tat ist außer diesen materiellen Fragen nichts anderes mehr übrig geblieben und  – man entschuldige die Häufigkeit der Wiederholung! – da liegt auch die optische Täuschung gerade vor, die es als eine Unredlichkeit erscheinen läßt, gegen diesen Augenschein anzukämpfen.“

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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