Buchauszug: Bertrand de Jouvenel – Revolutionen

Auch wenn ich das Rebellieren, Revoltieren und Revolutionieren gegen den Herrscher nicht kategorisch ablehne, so liegen in den zahlreichen Überlieferungen und Gelehrtensprüchen zu diesem Thema doch genug Beweiskraft dafür, dass diese Handlungen im Allgemeinen doch eher negativ zu beurteilen sind. Rebellionen, Revolten und Revolutionen sind fast immer äußerst gewalttätige Exzesse, die sich zudem nicht selten auch gegen die eigenen Leute (in Herkunft, Abstammung oder Religion) richten.

Auch die Revolutionen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart warten in der Realität nicht unbedingt mit traumhaften Resultaten auf. Bertrand de Jouvenel, der französische Politologe und Ökonom, der 1949 sein großartiges Werk Über die Staatsgewalt – Die Naturgeschichte ihres Wachstums herausbrachte, beschäftigte sich mit dem Wesen von Revolutionen und ihrem häufig ähnlichen Ausgang. Man sollte sich den folgenden Auszug mal objektiv zu Gemüte führen und ggf. ein wenig nachsinnen …

«Revolutionen

Gewaltsame Krisen in den Institutionen, die politischen Revolutionen, fesseln die Aufmerksamkeit des Historikers. Ein plötzlicher Ausbruch von Leidenschaften, die man nur geahnt hat; die explosionsartige Verbreitung von Ideen, die bisher im Untergrund zirkulierten; der meteorhafte Aufstieg neuer Führerpersönlichkeiten; die Veränderung der Charaktere in einer brutalen und sich überstürzenden Aktion; der Aufruhr einer entfesselten Menge, die ihr Alltagsgesicht verloren hat und sich die schreckliche Maske des Hasses und der tierischen Grausamkeit aufsetzt – hier ist Material, das einen Schriftsteller erregen und dem friedlichen Leser hinter dem Ofen angenehme Schauder vermitteln kann.

Diese Epochen sind literarisch am häufigsten behandelt, aber auch gründlich mißverstanden worden. Es steckt etwas Kindliches darin, wenn Forscher nach Fakten jagen, ohne den ernsthaften Versuch zu machen, sich von ihnen belehren zu lassen. Aufmerksam betrachten sie die Erscheinungen der Ereignisse und glauben darin ihr Wesen zu finden, sie halten die Welle bereits für die Bewegung des Meeres. Sie hören nur den zu Beginn jeder Revolution ertönenden Ruf nach Freiheit und kümmern sich nicht mehr darum, daß keiner unter ihnen war, die nicht zum Schluß die Staatsgewalt doch gestärkt hätte. […]

Das Phänomen ist eindeutig, aber es wird uminterpretiert. Es heißt dann, leider habe die Revolution ihr natürliches Bett verlassen, habe eine über die Ufer getretene antisoziale Bewegung eine disziplinierende Gewalt erfordert, habe die Revolution zu viele Ruinen hinterlassen, um nicht jetzt eines Baumeisters zu bedürfen. Ja, wenn dieser oder jener Fehler vermieden worden wäre! Es wird der sinnlose Versuch unternommen, den exakten Augenblick des Umschwungs, den selbstzerstörerischen Akt der Revolution und seinen Urheber zu finden.

Ein bedauernswertes Unverständnis und eine völlige Verkennung des revolutionären Phänomens! Nein, Cromwell und Stalin sind nicht zufällige Folgen, sind nicht die Unfälle eines sozialen Tornados. Sie sind der notwendige Abschluß, auf den hin sich die gesamte Umwälzung bewegt. Der Zyklus beginnt mit der Erschütterung einer unzureichenden Staatsgewalt und schließt mit der Errichtung einer starken Herrschaft.

Revolutionen beseitigen das Schwache und bringen das Starke hervor

Die Anfänge einer Revolution haben einen schwer faßbaren Charme. Die Situation ist offen und scheint alle Möglichkeiten in sich zu bergen. Sie verspricht jedem etwas: den unerfüllten Träumen, den verachteten Systemen, den unterdrückten Interessen, den enttäuschten Hoffnungen; sie wird alles zu einem guten Ende bringen; die strahlende Gewißheit der jungen Bewegung gewinnt ihr die Sympathien aller und verunsichert in ihrem Innern sogar die, die sie bedroht.

Diese glücklichen Stunden schreiben sich unauslöschlich in das Bewußtsein der Völker und werfen ihren Glanz noch auf die schrecklichen Folgen. In ihrem Enthusiasmus sucht die Nachwelt die eigentliche Bedeutung der Bewegung; als wenn die Menschen wüßten, was sie tun, und täten, was sie glauben.

Sie glauben, gegen die Unterdrückung zu kämpfen, die Staatsgewalt zu begrenzen, die Willkür zu beseitigen, Freiheit und Sicherheit des einzelnen zu garantieren, der Ausbeutung des Volkes ein Ende zu setzen und von denen, die sich an ihm bereichert haben, die Zurückerstattung zu verlangen.

Sie wollen aufbauen, – aber diese Aufgabe ist niemals für sie bestimmt gewesen. Sie haben ihre historische Rolle vielmehr ausgespielt, sobald sie der Staatsgewalt getrotzt haben. Ihre Straflosigkeit ist der Beweis für die Schwäche des Staates und setzt das Signal für die Eröffnung der Jagd auf das ohnmächtige Ungeheuer. Es kommt die Stunde derjenigen, die bisher ihren Neid und ihren Machthunger unterdrücken mußten. Während die staatliche Autorität auseinanderbricht, fallen rings um sie herum auch die gesellschaftlichen Kräfte. Und die Woge, welche die neuen Männer an die Spitze trägt, brandet nur noch über Trümmer hinweg. Jetzt nach einem Programm zu fragen, wäre sinnlos.
Schließlich aber bleibt die Gesellschaft als plane Fläche zurück. Welche Chance eröffnet sich denjenigen, die sich jetzt in den Ruinen der Befehlszentrale einrichten, sie mit den Trümmern zerschlagener Institutionen befestigt und ihre Herrschaft auszudehnen vermögen, ohne auf Widerstand zu treffen.

Das ist der vorbestimmte Abschluß des Kataklysmus: Liquidation einer schwachen Staatsgewalt durch die Errichtung einer starken Herrschaft. […]

Revolution und Tyrannei

Revolutionen leben von der Absage an die Tyrannis. Aber an ihrem Anfang steht sie nicht, sie bringt die Tyrannis erst am Ende hervor. […]

Auf den Sockel einer bloßen Vogelscheuche pflanzt die Volksbewegung die Fahne ihres Enthusiasmus und ersetzt den müden Skeptiker durch den starken Sieger blutiger Ausscheidungskämpfe.»

(Bertrand de Jouvenel, Über die Staatsgewalt – Die Naturgeschichte ihres Wachstums, Seite 257-261)

 

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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