Buchauszug: Hermann Vámbéry – Muslime in Rußland (1875)

„Es ist jedenfalls höchst charakteristisch für den Islam, daß er selbst im Stadium seiner merklichen Schwäche den christlichen Missionsversuchen zu widerstehen vermag, denn wenn es der russischen Kirche bisjetzt gelingen konnte, unter den halb dem Schamanenthum und halb nur dem Islam angehorigen südsibirischen Türken einige Proselyten zu machen, so sind beim Gros der moslimisch-türkischen Nomaden bis zur Zeit alle Bestrebungen fruchtlos geblieben. […]

Was das Christenthum bisjetzt absorbiren konnte, das waren ausschliesslich Nichtmohammedaner, zumeist finn-ugrische Völkerschaften, als: Sürjenen, Votjaken, Tschuwaschen, Mordwinen, Wogulen u. s. w., Barbaren im strengsten Sinne des Wortes; gegenüber buddhistischen oder moslimischen Nomaden aber ist der russische Cultureinfluss ohne jegliche Wirkung geblieben.

Bei den sesshafben Befolgern der Lehre Mohammed’s ist selbstverständlich der bisherige Erfolg ein noch weit geringerer.

Der friedliche, nüchterne, arbeitsame und redliche Tatar an der Wolga und in der Krim, ist mehr als einem Reisenden aufgefallen, wenn er denselben mit seinem der Trunkenheit ergebenen, schmutzigen, trägen und betrügerischen christlichen Nachbar vergleichen wollte.

Die Regierung thut alles Mögliche, um den spröden Korper der mohammedanischen Opposition zu erweichen. Die so verschwindend geringe Anzahl der christlichen Tataren, deren Bekehrung noch aus der ersten Zeit der russischen Occupation sich datirt, ist gewaltsam zur numerischen Grösse von 40.000 hinaufgeschraubt worden, trotzdem es allgemein bekannt ist, dass die ans Doppelkreuz sich anklammernden Neophyten nicht aus der Reihe der Nogaier, sondern der heidnischen Tscheremissen, Tschuwaschen und anderer verkommenden, aussterbenden Nomadenstammen bestehen. […]

Die russische Volksmasse, mit welcher der Mohammedaner in Berührung steht, […] ist zu rauh , zu ungeschliffen, zu sehr den mannichfachsten Lastern ergeben, um imponiren und lehren zu können, […]

Es ist daher ganz natürlich, dass der strebsame nüchterne Tatare, ob Kaufmann oder Handwerker, seinem russischen Standesgenossen gegenüber sich immer für etwas Besseres halten muß und, da dieser Vorzug nur dem Glauben zugeschrieben wird, so klammert er sich an denselben um so fester, und so mußte denn auch jeder Bekehrungsversuch seines mächtigen Herrschers an ihm stets spurlos vorüberziehen.“

(Hermann Vámbéry – deutsch-ungarischer Orientalist und Turkologe – , Der Islam im 19. Jahrhundert. Leipzig 1875)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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