Materialien zur Geschichte der Wahaby – 01 – Einleitung (3/4)

Die Wahaby erklärten, dass alle Menschen in den Augen Gottes gleich seien, und dass selbst die Tugendhaftesten bei ihm keine Vorbitte tun könnten; dass es folglich sündhaft sei, gestorbene Heilige anzurufen und ihre sterblichen Überreste mehr, als diejenigen anderer Personen zu ehren. Wohin die Wahaby ihre Waffen trugen, da zerstörten sie alle Kuppeln und mit Zierraten umgebene Gräber, — ein Umstand, welcher dazu diente, den Fanatismus ihrer Anhänger zu entzünden und einen auffallenden Unterschied zwischen ihnen und ihren Gegnern herzustellen, worauf auf immer die Politik des Gründers einer Sekte gesehen hat, und was sich bei der gemeinen Masse der Wahaby umso nötiger machte, da diese nicht im Stande war, die anderen Punkte des Streites richtig zu beurteilen.

Die Zerstörung der Kuppeln und Gräber der Heiligen war eine Lieblingssache der Wahaby geworden. In Hedschaz, Jemen, Mesopotamien und Syrien war dieses immer das erste Resultat ihres Sieges, und da eine Menge Moscheen mit einem Dome versehen waren, so schritten sie auch zur Zerstörung dieser. In Mekka blieb nicht eine einzige Kuppel auf irgendeinem Grab eines Heiligen; und selbst diejenigen, welche den Geburtsort Mohammeds und seiner Enkel Hassan und Hossein und seines Onkels Abu Taleb und seines Weibes Khadydsche bedeckten, wurden sämtlich abgebrochen. Während sie diese Kuppeln zerstörten, hörte man sie ausrufen: „Gott sei gnädig denen, welche diese Kuppeln zerstörten, nicht aber denen, welche sie bauten.“ Die Türken, welche von diesen Verwüstungen hörten, glaubten natürlich, dass sie aus Mangel an Achtung gegen die Personen, zu deren Ehre obige Gebäude errichtet worden waren, und aus mangelndem Glauben an ihre Heiligkeit, begangen würden. Selbst der große Dom über dem Grabe Mohammeds zu Medinah sollte ein gleiches Los haben. Saud hatte Befehl gegeben, ihn zu zerstören, aber sein fester Bau trotzte den rohen Kraftanstrengungen seiner Soldaten; und nachdem mehrere von ihnen von demselben herabgestürzt und tot geblieben waren, wurde das Unternehmen aufgegeben. Die Einwohner von Medinah erklärten nun, dass dieses durch Vermittlung des Himmels geschehen sei.

Die Nachlässigkeit des bei weitem größeren Teiles der Türken gegen ihre religiösen Gesetze, mit Ausnahme derer, die auf Gebet, Reinigung, oder Fasten Bezug haben, war ein anderer Punkt, welchen der Stifter der Wahaby-Sekte urgierte[1]. Almosen an die Armen, wie sie das Gesetz befiehlt; die Verfügungen Mohammeds über den Luxus; die Strenge und Unparteilichkeit der Justiz, durch welche sich die ersten Khalifen so sehr auszeichneten; der kriegerische Geist, der nach dem Gesetze beständig gegen die Ungläubigen unterhalten werden sollte; die Enthaltsamkeit von allem, was Trunkenheit erzeugt; ungesetzlicher Umgang mit dem weiblichen Geschlecht; unnatürliche Ausschweifungen und dergleichen mehr, — dies waren alles Vorschriften, welche nicht allein bei den neuen Türken gänzlich unberücksichtigt blieben, sondern auch ganz öffentlich und ungestraft von ihnen übertreten wurden. Die skandalöse Aufführung vieler Pilger, welche mit ihren schändlichen Wollüsten die heiligen Städte befleckten; die offenen Freibriefe, welche die Anführer der Karawanen der Ausschweifung und allen Lastern gaben, die sich im Gefolge des Stolzes und der Selbstsucht zu finden pflegen; die zahlreichen Handlungen des Truges und der Treulosigkeit, welche von den Türken begangen worden waren, wurden sämtlich von den Wababy als Beweise des allgemeinen Charakters schlechter Muselmänner aufgeführt und machten einen starken Kontrast mit der Reinheit der Sitten und Handlungsart, auf welche die Wahaby Anspruch machten und mit welcher der Pilger sich der heiligen Kaaba nähern soll.

Mit Begeisterung den uranfänglichen Lehrsätzen seiner Religion ergeben und mit gerechtem Unwillen darüber erfüllt, dass diese Lehrsätze durch die gegenwärtigen Muselmänner verderbt und verfälscht wurden, vielleicht auch nicht wenig entrüstet darüber, dass er in den türkischen Städten, wo er gegen diese Unordnungen geeifert hatte, mit Verachtung behandelt worden war, kannte Abd el Wahab, der Stifter der Sekte, kein anderes Streben, als seine Anhänger in denjenigen Zustand der Religion, der Sitten und der Gebräuche zurückzuführen, welcher, wie er aus den besten historischen und theologischen Werken seiner Nation erfahren hatte, zu jener Zeit herrschte, als der Islam in Arabien verkündet wurde.

Da dieses Gesetzbuch offenbar für die Beduinen gegeben worden war, so fanden die Reformatoren, dass es diesem Volke umso leichter wieder angepasst werden könnte, und bewiesen dadurch, wie wenig die Fremden, oder die Türken ihre eigenen nördlichen Gewohnheiten dem wahren Geiste des Islam zum Opfer gebracht hatten. Nicht eine einzige neue Vorschrift war im Gesetzbuch der Wahaby zu finden. Abd el Wahab hatte sich dabei bloß an den Koran und an die Sunna (oder die Gesetze, welche auf den Überlieferungen Mohammeds beruhen) gehalten, und der einzige Unterschied zwischen dieser Sekte und den orthodoxen Türken, wenn man Türken überhaupt orthodox nennen kann, ist der, dass die Wahaby ganz streng dieselben Gesetze befolgen, welche die Anderen vernachlässigen, oder zu beobachten gänzlich aufgehört haben. Eine Beschreibung der Wahaby-Religion würde deshalb bloß eine Rekapitulation des muselmännischen Glaubens sein; und darzutun, in welchen Punkten diese Sekte von den Türken abweicht, würde auf ein Verzeichnis aller Missbräuche hinauskommen, deren sich letztere schuldig gemacht haben. Bei dieser Behauptung stütze ich mich auf die Meinung mehrerer der ersten Ulama in Kairo.

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[1] auch: drängte, trieb

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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