von Yahya ibn Rainer
Als plötzlich – um 2006 herum – die Dawa Salafiyya in Deutschland groß wurde und Verbreitung fand, begannen auf einmal zahlreiche muslimische und neukonvertierte Jugendliche, sich in einem Ausmaß mit islamischem Wissen und seinem Usul zu beschäftigen, wie es zuvor in Deutschland nie üblich war.
Dieser Umstand überforderte nicht nur zahlreiche Eltern und muslimische Gemeindemitglieder, sondern zum Teil auch ungelernte und gelernte Imame in den Moscheen. Den (gewiss nicht immer, aber doch recht häufig) guten Argumenten dieser „Jungsalafisten“ konnte nur schwer spontan entgegnet werden, und so nahm die Bewegung schnell zu.
Seit kurzer Zeit, fast 10 Jahre später, scheint man in den etablierten Altherrenstrukturen der religiösen Ausländervereine ein wenig aktiver und offensiver geworden zu sein. Langsam erscheinen mehr und mehr Jugendliche und Erwachsene auf der Bildfläche, die sich an der (eigentlich verhassten) Dawa Salafiyya ein gutes Beispiel nehmen, indem sie sich intensiv mit Wissen und Usul beschäftigen und dieses in deutscher Sprache verbreiten.
Immer häufiger stoße ich in letzter Zeit auf Dawa, die sich zwar nicht direkt gegen die Salafiyya richtet, aber durchaus viele ihrer Botschaften und Urteile kritisch hinterfragt und gehbare Alternativen aufzeigt.
Die Dawa Salafiyya – und hier ganz besonders Pierre Vogel – hatte einen Stein ins Rollen und die Beschäftigung mit dem Islam wieder attraktiv gemacht. Jeder, der dies leugnet, ist entweder blind oder zu differenzierter Betrachtung nicht in der Lage. Pierre Vogel & Co haben den Islam unter Jugendlichen in Deutschland (wieder) erwachen lassen. Entweder wurden junge Muslime von ihm motiviert MIT IHM in der Dawa tätig zu sein, oder sie wurden motiviert sich wieder mit dem Islam zu beschäftigen um seine Methoden und Ansichten kritisch zu hinterfragen. Beides ist meines Erachtens ein Gewinn, so lange es für den Islam geschieht.
Auch die Deutsche Sprache wurde durch Pierre Vogel & Co in der Dawa gestärkt und die etablierten Verbände und Vereine sahen sich gezwungen, ihre verkrusteten und altbackenen Strukturen aufzubrechen, um der hiesigen Verkehrs- und Kultursprache den Rang einzuräumen, den sie unzweifelhaft verdient hat. Nie wurde mehr muslimische Literatur in die Deutsche Sprache übersetzt oder in Deutscher Sprache verfasst, als in den letzten 10 Jahren der expandierenden Dawa Salafiyya.
Heute jedoch sehe ich einem Wandel entgegen, der mich sehr beunruhigt. Während ich nämlich unter „Salafiyya“-Kritikern einen qualitativen und quantitativen Sprung nach vorn wahrnehme, muss ich bei den sogenannten „Salafisten“ eine gewisse Degeneration feststellen. Nicht quantitativ, denn mehr werden wir auch weiterhin, aber auf jeden Fall qualitativ. Speziell bei den neuesten „Zugängen“ im „Salafi-Milieu“ stelle ich nicht selten ein äußerst oberflächliches Wissen und auch besorgniserregende ideologische Einflüsse fest. Manchmal fürchte ich, dass gewisse „Islamexperten“ und Soziologen nicht ganz Unrecht hatten, als sie den zeitgenössischen „Salafismus“ als eine neue Form der jugendlichen Subkultur bezeichneten, die vor allem darauf aus ist zu provozieren.
Besonders auffällig scheint mir dieses Phänomen bei der verhältnismäßig großen Zustimmung für den „Islamischen Staat“ zu sein. Neben sicherlich auch einigen älteren Anhängern, sind es in Deutschland aber vor allem äußerst junge und nicht selten auch relativ frische Muslime, die den „Produkten“ des IS erliegen. Hochwertig produzierte Kriegs- und Hinrichtungsvideos und markige Anasheed haben den Predigervideos von Pierre Vogel & Co schon längst den Rang abgelaufen.
Böse Zungen könnten jetzt behaupten, dass sich mit diesem Wandel im Grunde nur das wahre Gesicht des „Wahhabismus/Salafismus“ offenbart, aber wer ehrlich ist und Einblick hat, der kennt die tatsächlichen Gründe. Was letztendlich nämlich zu dieser Degeneration des Wissens und des Verhaltens führt, ist der staatlich und mediale geführte „Kampf gegen den Salafismus“.
Wo Moscheegemeinden nicht schon von sich aus solche Muslime ausgrenzten, die sie als „Salafisten“ oder „Wahhabiten“ verstanden, machten Staat und Presse ausreichend Druck. Viele, vor allem junge Muslime, sind auf diese Weise aus den Stätten verbannt worden, wo sie eigentlich qualifiziert hätten belehrt werden können. Und wo solche ausgegrenzten Muslime aufgenommen wurden oder eigene Vereine und Räumlichkeiten gründeten, wurde der staatliche und mediale Druck sogar noch auf die Spitze getrieben.
Dass ausgegrenzte „Salafisten“ damit aber nicht verschwinden, wird jedem wohl einleuchten. Anstatt also nun in einer Moscheegemeinde mit den Älteren und Gebildeten zu sitzen, hocken sie zu Hause vor dem PC und bekämpfen ihre Langeweile mit Videos, Anasheeds und zweifelhaften Texten und Vorträgen.
Die etablierten Verbände sollten sich ganz genau überlegen, ob sie in Zukunft weiterhin an der Seite des Staates und in Zusammenarbeit mit der Presse gegen Glaubensgeschwister feindlich vorgehen wollen. Zum einen ist es nicht die richtige Art und Weise, um innerhalb der muslimischen Gemeinde Meinungsunterschiede auszufechten, und zum anderen spielt man solchen jungen Muslimen damit quasi in die Hände, die den „Salafismus“ tatsächlich als jugendliche Subkultur missbrauchen, um gegen die familiären Strukturen und das Establishment zu rebellieren. Ausgrenzung wirkt in dieser Hinsicht eher als Verstärker, und wenn die Subkultur (wie im Fall des IS-Kults) vor allem auch tödliche Gewaltphantasien bedient und erzeugt, dann kann Ausgrenzung auch Gefahr für Leib und Leben bedeuten.
“Als plötzlich – um 2006 herum – die Dawa Salafiyya in Deutschland groß wurde und Verbreitung fand, begannen auf einmal zahlreiche muslimische und neukonvertierte Jugendliche, sich in einem Ausmaß mit islamischem Wissen und seinem Usul zu beschäftigen, wie es zuvor in Deutschland nie üblich war“
Da hat wohl jemand die Realität falsch wahrgenommen:
In Süd- und Westdeutschland gibt es schon seit je her dutzend Tausende, die ihren Glauben praktizieren. Von Kindesbeinen an.
Großteil davon türkischer Herkunft, hanefitisch.
Doch um das wissen zu können, muss man halt rumkommen und mal mit auf Veranstaltungen gehen.
Die Moscheen und Treffen da waren regelmäßig gut besucht, vor Pierre Vogels Auftreten und danach erst Recht.
Wie kommst du überhaupt darauf, solche Aussagen zu treffen, ohne entsprechende Fakten?
Ich rede natürlich hier von Jugendlichen.
Die Gülencis (Hanefiten mit calvnistischem Anstrich) haben in jeder Stadt, in weiten Teilen der Welt Vereinigungen, blutjunge Muslime mit Abitur treffen sich diszipliniert regelmäßig und gedenken Allahs.
Die Nurcus: ebensfalls türkisch-hanefitisch, auch hier treffen sich tausende deutschlandweit seit Jahren oder Jahrzehnten und gedenken Allahs.
Vergleichen damit war das, was man seit 2006 von der sog. salafistischen Dawa sieht, eher ein schwaches Licht.
Ich empfehle dir, weniger nach deinen Empfindungen und mehr nach empirischer Realität zu schreiben.
Danke für die Empfehlung. Dein Kommentar glänzt aber ebenso mit der Abwesenheit von Empirie.
Ich komme recht viel rum. Viele Moscheebesucher und -vorstände haben mir bestätigt, dass die Moscheen in den letzten 10 Jahren einen äußerst deutlichen Anstieg jugendlicher Besucher erfahren haben. Ganz besonders auffällig ist in dieser Zeit auch der Anstieg von Konversionen.
Auch das Befürnis an deutschsprachigen Unterrichten ist gewaltig gestiegen, wobei auch hier explizit auf das Wirken PVs hingewiesen wird (wenn auch nicht immer im positiven Sinne).
Ein Einfluss der sogenannten Dawa-Salafiyya auf die Islampraxis in Deutschland kann nicht bestritten werden.
Bismillah;
In einigen Punkten werden zu schnell Rückschlüsse in Bezug auf die Gesellschaft gezogen. Auch wenn hier und da ganze Abschnitte von Shaykh AbdulWahab übertragen wurden, so sind dennoch viele daran gescheitert diese anständig zu verinnerlichen. Pierre Vogel und Co haben scheinbar kein Problem damit, in das „nächste“ deutsche Gericht zu gehen und irgendjemanden zu verklagen (o.Ä.), obwohl praktisch bekannt ist, dass der Islam die Tore zu solchen Taten verschließt. Stattdessen wird nach dem Motto „uns sind (zumindest fast) alle Mittel recht“ gehandelt. Viele, (wenn nicht alle heutigen,) türkischen „Moscheen“ wurden darüberhinaus nie für islamische Zielsetzungen gegründet. Ich komme selbst aus dem türkischen Lande; wenn ich mal mit meinem Bart erscheine, lässt sich die ein oder andere zwielichtige Gestalt von sich anmerken, dass er mit mir „ein Problem” hat.
Auch mit den „Nurcus“ bzw. mit der „Gülen-Organisation“ bin ich in Kontakt gekommen: Die Jungs mit dem Abi (,wobei nicht jeder von ihnen die sogenannte „Hochschulreife” erlangt hat) belustigten sich über Bestandteile des Islams; ich habe sie alle verlassen; bei solchen Typen kommt nix Anständiges bei raus. Wie auch in meinem Blog geschrieben, bin ich bis heute nicht einer (größeren) islamischen Gesellschaft begegnet. Einige kommen näher an die wirklichen islamischen Lehren heran, scheitern aber an ganz einfachen Grundsätzen.
Ich ziele mit meinem Beitrag nicht darauf ab, jeden einzelnen der Weltbevölkerung explizit als Kafir anzusehen; aber mit „ich bin Muslim“ ist es heutzutage nicht mehr getan.
* Ich meinte natürlich Shaykh Ibn AbdulWahab.