Buchauszug: Andreas Abu Bakr Rieger – Riba An-Nasi’ah

Riba An-Nasi’ah ist die Nutzung von Dain (Schuldversprechen) als Zahlungsmittel. Dieses Vorgehen ist, wie wir im Zeitalter der Derivate wissen, ein aktuelles Phänomen, das Imam Malik in seinem berühmten Rechtsbuch „Al-Muwatta“ beschrieb:

»Er überliefert, dass den Leuten in der Zeit [des Gouverneurs] Marwan ibn Al-Hakim Belege (Sukukun) für die Produkte des Marktes Al-Dschar ausgegeben wurden. Die Leute kaufen und verkaufen diese Belege [oder Schuldscheine] unter sich, bevor sie sich diese Waren liefern ließen. Zaid ibn Thabit, einer der Gefährten des Propheten, kam zu Marwan ibn Al-Hakim und warf ihm vor: „Marwan, machst du Wucher halal (zulässig)?“ Dieser entgegnete: „Ich suche Zuflucht bei Allah, was hat das zu bedeuten?“ Der Prophetengefährte erklärte ihm: „Diese Belege, die die Leute kaufen und verkaufen, bevor sie sich die Waren aushändigen lassen.“ Darauf wies Marwan seine Wachen an, ihm zu folgen, nahm die Belege den Leuten weg und händigte sie ihren ursprünglichen Besitzern aus. Zaid ibn Thabit benannte diese Belege, „die die Leute kauften und verkauften, bevor sie Waren in Händen hielten“, gezielt als Riba.«

Fassen wir noch einmal kurz das grundlegende Prinzip im islamischen Recht zusammen: Es ist erlaubt, Gold und Silber oder Lebensmittel als Zahlungsmittel zu verwenden, aber man kann dies nicht mit einem Zahlungsversprechen (Dain) tun. Darin gibt es einen ungerechtfertigten Überschuss, der nicht erlaubt ist. Wenn man in Besitz von Dain ist, muss man zuerst ‘Ain (fassbare Güter), welches es vertritt, in Händen halten und kann dann einen Austausch vollziehen. Dain kann nicht als Geld verwendet werden.Diese Handlungsweise wird Rama‘ genannt und gehört zu den verbotenen Kategorien von Riba. […]

Erst jetzt, in Zeiten der Finanzkrisen, erkennen Muslime wieder den tiefen Sinn dieser Überlieferungen, aber auch dass Rama‘ auf den Märkten der Welt heute zu einer anerkannten Praxis gehört. Das ursprüngliche islamische Geldwesen ist beinahe verschwunden. Dain-Währung (Papiergeld, Schuldscheine) hat die Verwendung von ‘Ain-Währung (Gold und Silber) ersetzt. Die islamische Welt hat sich für die Praxis entschieden, über die ‘Umar ibn Al-Khattab zu seiner Zeit sagte: »Ich fürchte mich vor Rama‘ um eures willen.«

(Weg mit dem Zins – Soziale Wirtschaft im Dialog der Religionen, von Andreas Rieger, © 2011, Seite 62-64)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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