Die Vorstellung von freier Marktwirtschaft im frühen Islam – Von Abu Hanifa bis Ibn Khaldun, Zustimmung für den freien Markt (3. Teil)

Der folgende Text stammt von Suleyman Dost, einem türkischstämmigen Doktoranten des Fachbereichs »Nah-östliche Sprachen und Zivilisationen« an der University of Chicago (hier ein Auszug aus seiner Dissertation), und wurde von mir (Yahya ibn Rainer) in die deutsche Sprache übertragen. Das englischsprachige Original ist »HIER« zu finden

Der Islam tauchte in einem Umfeld auf, welches von Gene Hack zweifelsfrei als „freier Markt“ [1] bezeichnet wurde. Die Chroniken der Islamischen Geschichte zeigen, dass sich nach der Einführung des Islams in diesem Bereich nur sehr wenig geändert hat. Der Prophet, selbst ein Handelsagent im Auftrag verschiedenster mekkanischer Händler, war äußerst darauf bedacht, diese Tradition des Freihandels fortzuführen, und die (Ordnungs-)Politik, für die er den Grundstein legte, sollte die Interessen der Unternehmer auf einem solch großen Gebiet sichern, wie es bis zum 7. Jahrhundert niemals zuvor politisch geeinigt war. Ein oder zwei Ereignisse aus der Regierungszeit des Propheten sollten diesen Punkt beleuchten.

Von Anfang an war er auffallend besorgt um die materiellen Bedingungen des Marktes, besonders in der Hinsicht, dass der Handel auf einer freien und gleichberechtigten Basis stattfindet. Er nahm selbst an der Inspektion des Marktplatzes teil, um die Genauigkeit der Maße (und Gewichte) zu überprüfen, er vergab bestimmte Plätze für die verschiedenen Verkäufer am Markt und er war äußerst aufgebracht über Händler, die den Bauern und Produzenten bereits am Stadttor auflauerten – bevor sie den Marktplatz erreichten konnten – um ihnen die Waren zu einem niedrigerem Preis (also unter Marktpreis) abzuluchsen.[2]

In der Tat war der Posten des Muhtasib (Marktaufsehers), den man aus späteren islamischen Staaten kennt, durch beides inspiriert, zum einen durch das persönliche Handeln des Propheten auf dem Markt, und zum anderen durch die Ernennung von Umar bin Khattab für den Marktplatz von Medina[3]. Der Prophet achtete sehr auf die Rechte der Verkäufer und war gegen jegliche Preisbindung bzw. –festsetzung, auch in Zeiten der Knappheit.

Als er dereinst gefragt wurde, in Zeiten der Überteuerung, ob er die Preise festsetzen könnte, da antwortete er:

„Allah ist Der, Der die Preise festlegt, Der, Der (die Ware) zurückhält, Der, Der (die Ware) ausstreckt und der Versorger. Ich hoffe, dass ich dereinst auf Allah treffen werde, ohne dass einer von euch von mir etwas verlangt, was ich ihm bzgl. seines Lebens und Eigentums im Diesseits an Unrecht tat.“ [4]

In Anbetracht der speziellen Worte, die der Prophet hier benutzte, wird man schwerlich der Verlockung widerstehen können, diese mit Adam Smiths Idee der »unsichtbaren Hand« und dem liberalen Verständnis vom Recht auf Leben und Eigentum in Verbindung zu bringen.

Es ist demnach nicht weit hergeholt, wenn man behauptet, dass Mohamed die Rolle des Staates in wirtschaftlichen Aspekten auf bloße Reglementierung und Inspektion reduzierte. Die Haltung des Propheten und des Islam im Allgemeinen, was diese Sache angeht, wurde später durch islamische Gelehrte im Detail ausgearbeitet.

An dieser Stelle kann Abu Hanifa, der berühmte Jurist und Begründer der Hanafi-Rechtsschule, als große Referenz für die Befürwortung der freien Marktwirtschaft im Islam herangezogen werden. Abu Hanifa, der höchstselbst ein relativ wohlhabender Kaufmann war, betrachtete den Bereich der Wirtschaft als eine Sphäre, die ihre eigene Dynamik besitzt und deshalb keinerlei Eingriffe vonseiten anderer Institutionen – einschließlich der islamischen Politik/Regierung – benötigt. Für ihn war das individuelle Recht auf Eigentum – und dieses akkumulieren (vermehren) zu dürfen – grundlegend (essenziell).

Al-Mawardi zitiert ein eindrucksvolles Beispiel für Abu Hanifas Rechtsverständnis, als dieser nämlich einem Marktaufseher verbietet, im Falle öffentlichen Trinkens, den Wein eines Nichtmuslims zu verschütten, indem er argumentiert, dass der Wein ein „verankertes und rechtmäßig garantiertes Eigentum“[5] der Nichtmuslime sei.

Seine häufig zitierte Opposition gegen fromme Stiftungen (Waqf) hatte ähnliche Gründe, da er die Errichtung dieser Stiftungen als eine Bedrohung für die freie Zirkulation des privaten Eigentums ansah.[6].

Abu Hanifas Vorstellungen von Preisbindung (Festsetzung von Preisen) kann eins zu eins aus dem Buch Kitabul Haraj seines Schülers (Abu Yusuf) abgeleitet werden, und sie sind vor allem eine Anerkennung dessen, was auch der Prophet diesbezüglich zu sagen pflegte:

„Teuerung und Billigkeit sind Gottes Wille und sie halten niemals das gleiche Niveau über all die Zeit … gewiss ist dies eine Angelegenheit der Himmel und kann nicht (im voraus) bekannt sein“. [7]

 

Fußnoten

[1] Heck, pp. 550, 563, 572

[2] Kavakcı Y. Z. Hisbe Teşkilatı, Ankara: Baylan Matbaası(1975) pp. 78

[3] Ibid. pp. 41

[4] Ibid. pp. 90

[5] Al-Mawardi, The Ordinances of Government (translated by By Wafaa H. Wahba), Reading: Garnet Publishing (1996) pp. 272

[6] Akgunduz A. İslam Hukukunda ve Osmanlı Tatbikatında Vakıf Müessesesi, Ankara: Türk Tarih Kurumu Basımevi (1988) pp. 26

[7] Kallek C. İslam İktisat Düşüncesi Tarihi: Harac ve Emval Kitapları, Istanbul: Klasik (2004) pp. 93

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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