Die Vorstellung von freier Marktwirtschaft im frühen Islam – Von Abu Hanifa bis Ibn Khaldun, Zustimmung für den freien Markt (4. Teil)

Der folgende Text stammt von Suleyman Dost, einem türkischstämmigen Doktoranten des Fachbereichs »Nah-östliche Sprachen und Zivilisationen« an der University of Chicago (hier ein Auszug aus seiner Dissertation), und wurde von mir (Yahya ibn Rainer) in die deutsche Sprache übertragen. Das englischsprachige Original ist »HIER« zu finden

Ein anderer islamischer Gelehrter, der ausführlich über Wirtschaft geschrieben hat, war al-Mawardi, der in seinem berühmten Werk Al-Ahkam al-Sultaniyya verschiedenste Themen behandelte, angefangen von Landwirtschaft, über Steuerpolitik bis hin zum Posten der Marktaufsicht (muhtasib).

In einem langen Kapitel über die Aufgaben des muhtasib – des Staatsbeamten, in dessen Verantwortlichkeit die moralische und wirtschaftliche Beaufsichtigung des Marktes fiel – beschreibt al-Mawardi den Umfang staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft. Für ihn ist der Marktaufseher lediglich ein Koordinator des Marktplatzes, der nach den Prinzipien des „Gebietens von Gutem und Verbieten des Schlechten“ eher eine moralische Aufgabe erfüllte, als eine wirtschaftliche. [1]

Er sorgt dafür, dass die Muslime das Freitagsgebet besuchen, im Monat Ramadan fasten und dass Nichtmuslime sich an die Regeln halten, die für sie Geltung haben, was Verhalten, Benehmen und Bekleidung angeht.[2] Seine Aufgaben, den wirtschaftlichen Bereich betreffend, beschränken sich lediglich auf die Regulierung von Ausschweifungen, Kontrolle der Maßeinheiten (Gewichte usw), Inspektion der Produktqualität und die Rechtmäßigkeit der Verträge auf dem Markt.

Al-Mawardi verwahrte sich strengstens gegen irgendwelche Formen des Eingriffs in das Privateigentum (anderer Leute) vonseiten des muhtasib und er sprach ihm jegliche richterliche Gewalt ab. Mit Abu Hanifa stimmte er auch in Sachen Preisbindung (bzw. –festsetzung) überein:

„Er (der muhtasib) kann nicht die Preise für Waren und andere Güter für die Öffentlichkeit festlegen, weder in Zeiten der Knappheit, noch in Zeiten des Überflusses.“[3]

Der muhtasib ist der höchste Vertreter einer Stadtverwaltung in Wirtschaftsangelegenheiten, doch sein Wirkungsbereich auf dem Marktplatz, welcher in der Vormoderne die Gesamtwirtschaft bildete, ist äußerst begrenzt. Wobei es natürlich auch Ausnahmen von dieser Regel gab, beispielsweise im fatimidischen Ägypten und in einigen Städten des osmanischen Reiches im späten 16. Jahrhundert, aber die ursprünglichen Aufgaben des muhtasibs beschränkten sich auf die Bereiche, die auch von den Gelehrten beschrieben wurden.

Eine weitere große Figur, die man nur schwerlich außer Acht lassen kann, in der Diskussion um freie Marktwirtschaft im Islam, ist Ibn Khaldun, der renommierte islamische Universalgelehrte des 14. Jahrhunderts. Tatsächlich gingen sogar einige Gelehrte so weit, ihn als Vorläufer von Adam Smith zu betrachten, dessen Ideen von Arbeitsteilung, Profit und Wertschätzung des freien Marktes auf ihn (Ibn Khaldun) zurückzuführen seien. [4] In einer Zeit lebend, als es in ganz Nordafrika und Spanien keinerlei islamische Ordnungsmacht gab, basierte Ibn Khalduns Wirtschaftstheorie auf freier Warenzirkulation, der Wichtigkeit des unternehmerischen Risikos und der Preisbildung, die ihre Veränderung durch Angebot und Nachfrage in verschiedenen (Handels-)Regionen erfährt.

Nach dieser Theorie ist es die Aufgabe des Staates, in seinem Zuständigkeitsbereich für Recht und Ordnung zu sorgen, denn dies ist der Ursprung für Gerechtigkeit und benötigt dazu militärische Kräfte, Verwaltung und gesellschaftliche Produktionsstrukturen.[5]

Jedoch missbilligte er die direkte Beteiligung des Staates an der Wirtschaft, auch in Form von Investitionen/Subventionen, da er befürchtete, das der Staat zu mächtig werden würde und eine Konkurrenz für den privaten Sektor. [6]

 

Fußnoten

[1] Al-Mawardi, op. cit. pp. 260

[2] Ibid. pp. 263

[3] Ibid. pp. 278

[4] Berg & Kemp, op. cit. pp. 12

[5] Kozak E. Ibn Haldun’a Göre İnsan-Toplum-İktisat, Istanbul: Pınar Yayınları (1984) pp. 160

[6] Ibid. pp. 167

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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