Die Vorstellung von freier Marktwirtschaft im frühen Islam – Einleitung (1. Teil)

Der folgende Text stammt von Suleyman Dost, einem türkischstämmigen Doktoranten des Fachbereichs »Nah-östliche Sprachen und Zivilisationen« an der University of Chicago (hier ein Auszug aus seiner Dissertation), und wurde von mir (Yahya ibn Rainer) in die deutsche Sprache übertragen. Das englischsprachige Original ist »HIER« zu finden.

EINLEITUNG

(Verbindliche) islamische Standpunkte für die Ökonomie abzuleiten ist bereits eine anspruchsvolle und schwierige Aufgabe, besonders weil der Islam als Religion viele verschiedene Texte, Überzeugungen, Meinungen und Praktiken kennt, die sich jedoch weder auf die Ökonomie als Gesamtkonzept fokussieren, noch eine aufwändig entwickelte Grundlage liefern, die der Islam als Weltanschauung verbindlich macht.

Eine gewisse Konfusion besteht auch, wenn es darum geht, islamische Standpunkte zu den Begriffen Kapitalismus, Sozialismus, freie Marktwirtschaft oder Planwirtschaft zu erhalten, da es sich dabei in erster Linie um moderne Bezeichnungen handelt, deren Bestimmung es ist, zeitgenössische ökonomische Realitäten zu erklären, und so ergibt sich natürlich die Gefahr, irgendwelchen (falschen) Schlussfolgerungen, Anachronismen oder übereilten Verallgemeinerungen zu erliegen, wenn man den Islam mit diesen Konzeptionen zu vergleichen versucht, schon allein deswegen, weil diese Begriffe auch selbst keine allgemein anerkannte Definition für sich in Anspruch nehmen können.

Unter Berücksichtigung dieser Vorbehalte, soll mein Hauptargument in diesem Aufsatz die frühe Islamische Geschichte sein, und die wichtigsten Texte über die Wirtschaftswelt dieser Epoche zeugen von einer Aufwertung dessen, was man heutzutage als die grundlegenden Lehren der freien Marktwirtschaft oder des Kapitalismus bezeichnen könnte.

Anstatt zu versuchen, mich auf eine vollständige Definition der „freien Marktwirtschaft“ zu beziehen, werde ich vielmehr verschiedene wesentliche Aspekte des „Kapitalismus der freien Märkte“ fokussieren, wie die Bedeutung des Privateigentums, die Betonung des Angebot-Nachfrage-Zusammenhangs, den begrenzten Umfang staatlicher Eingriffe und ordnungsgemäße Vorschriften des Marktes.

Der historische und textliche Überblick, den ich hier ausführe, umfasst, in einer etwas verkürzten Form, die Praxis des arabischen Handels im Zuge und zum Ende der islamischen Expansion, die Ansichten bestimmter islamischer Gelehrter – von Abu Hanifa bis Ibn Khaldun – bezüglich der Natur wirtschaftlicher Transaktionen, und schließlich das historische Amt des Muhtasib, welches uns einen erheblichen Einblick in den praktischen Aspekt der Intervention früher islamischer Staaten erlaubt.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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