Materialien zur Geschichte der Wahaby – 01 – Einleitung (2/4)

Die wenigen verständigen Syrier, oder Ägypter, die während der Wallfahrt Gelegenheiten gefunden hatten, mit gut unterrichteten Anhängern dieser Sekte sich zu unterhalten, werden sich wahrscheinlich überzeugt haben, dass dieser Beduinen-Glaube ganz derjenige des Islams sei; und wenn auch die Meinungen beider Teile nicht in allen Punkten übereinstimmen, so werden sie es doch für ungerecht halten, die Wahaby Ungläubige zu nennen. Aber das Zeugnis solcher Personen, wenn sie ein solches überhaupt geben dürften, ohne sich selbst der Beschuldigung auszusetzen, dass sie schlechte Muselmänner seien, konnte in dem allgemeinen Geschrei nicht durchdringen; und besonders nach dem Jahr 1803, wo die Pilgerkarawanen endlich unterbrochen wurden, herrschte überall die Meinung, dass die Wahaby als entschiedene Feinde der muselmännischen Religion angesehen werden müssten.

In den zwei kurzen Abhandlungen über die Wahaby, welche Herr Rousseau um das Jahr 1808[1] in Bagdad und Aleppo geschrieben hat, wird ganz positiv behauptet, dass die Wahaby eine neue Religion haben und zwar den Koran anerkennen, aber die Wallfahrt nach Mekka gänzlich abgeschafft haben. So war allerdings damals die allgemeine Volksmeinung zu Aleppo, aber weit richtigere Auskunft wäre leicht von verständigen Pilgern und selbst von Beduinen in dieser Stadt zu bekommen gewesen, und man muss sich in der Tat wundern, dass dieses nicht geschehen sei, indem der Verfasser ausdrücklich sagt, dass er eine Beschreibung der Wahaby geben wolle und, seiner Versicherung nach, einen Teil seiner Nachrichten von Sauds Kaplan erhalten haben will, unter welchem er einen Beamten am Hofe von Derayeh versteht, über dessen Funktionen ich mir keine klare Vorstellung zu machen im Stande bin.

Seit die Armee des Mohammed Aly in Hedschaz selbst festen Fuß gewonnen hat und seit die Intrigen des Scherif Ghaleb nicht länger von Nutzen mehr waren, auch direkte Kommunikationen sowohl mit den Oberhäuptern der Wahaby, als mit Anführern kleinerer Abteilungen eröffnet worden waren und die Pilgerkarawanen ihren alten Weg wieder betreten hatten, ist der eigentliche Charakter der Wahaby selbst in den entferntesten Teilen der türkischen Herrschaft besser bekannt geworden, und die Dankbarkeit, welche die Einwohner von Mekka gegen ihre temporären Herren an den Tag legen, ist geeignet, jedem Pilger höchst vorteilhafte Begriffe beizubringen, sobald er sich hier nach der neuen Sekte erkundigt.

Bedürfte es noch eines ferneren Beweises, dass die Wahaby sehr orthodoxe Muselmänner sind, so könnte man denselben aus ihrem Katechismus schöpfen. Als Saud von Mekka Besitz nahm, verteilte er Abschriften dieses Katechismus unter die Einwohner und gab den Befehl, dass die Kinder in öffentlichen Schulen denselben auswendig lernen sollten. Er enthält weiter nichts, als was der orthodoxeste Türke für wahr anerkennen muss. Saud hatte die alberne Meinung, dass die Städtebewohner in gänzlicher Unwissenheit und Unkenntnis ihrer Religion aufgewachsen seien, und wünschte deshalb, die Bewohner von Mekka in den ersten Grundsätzen dieser Religion zu unterrichten. Es war indessen in diesem Katechismus nichts enthalten, was die Einwohner von Mekka nicht bereits gewusst hätten; und als Saud fand, dass sie besser unterrichtet seien, als seine eigenen Leute, so stand er von fernerer Verbreitung dieses Katechismus ab.

Die Hauptlehrsätze der Wahaby entsprechen, wie man finden wird, denen, welche in anderen Teilen des Muselmännischen Reiches gelehrt werden. Der Koran und die Überlieferungen Mohammeds (Sunna) werden als Grundlage anerkannt und enthalten die Gesetze; auch die Meinungen der besten Ausleger des Korans werden respektiert, obschon nicht unbedingt befolgt. Da es aber Hauptzweck dieser Sekte ist, die ersten Gebräuche und die reinen Dogmen der ursprünglichen Stifter des Islams und seiner ersten Bekenner, inwiefern sie auf diesen Gesetzen ruhen, wiederherzustellen; so musste sie notwendig eine Menge falscher Meinungen und Verfälschungen verwerfen, die sich in den Islam eingeschlichen haben, so wie er heutzutage gelehrt wird, und auch auf die vielen Fälle hindeuten, in welchen die Türken den Vorschriften, welche sie selbst als unerlässlich anerkennen, gerade entgegenhandeln. Da ich keine vollständige Kenntnis der Kontroverse besitze, so bin ich nicht im Stande, meine Leser mit allen Einzelheiten des Gegenstandes bekannt zu machen, und beschränke mich deshalb auf die Erwähnung einiger Punkte, die zwischen beiden Parteien als Hauptgegenstände des Streites betrachtet werden. Die Wahaby machen es den Türken zum Vorwurf, dass sie den Propheten auf eine Weise ehren, welche der Anbetung nahe kommt, und dass sie auf dieselbe Weise das Andenken vieler Heiligen ehren. Darin scheinen nun die Wahaby nicht sehr Unrecht zu haben.

Nehmen sie einmal den Koran als das durch Offenbarung erhaltene Gesetz an, so müssen die Türken auch unbedingt die vielen Stellen anerkennen, in welchen es ausdrücklich heißt, dass Mohammed gleich ihnen ein sterblicher Mensch sei; aber die fanatische Liebe zu ihrem Propheten konnte mit dieser bescheidenen Erklärung nicht zufrieden sein. Die gelehrten Männer bewiesen mit sophistischer Spitzfindigkeit, dass der Prophet, obschon gestorben und begraben, doch nicht das gewöhnliche Los der Sterblichen geteilt habe, sondern noch immer lebe; dass es bei seinem Zutritt zu dem Allmächtigen, von welchem er zärtlich geliebt werde, für ihn eine ganz leichte Sache sei, einen seiner gläubigen Anhänger zu beschützen, oder zu empfehlen. Obgleich die Türken nie ein besonderes Gebet an ihren Propheten richten, so sprechen sie doch seinen Namen aus, als ob sie ihn anrufen wollten, etwa auf dieselbe Weise, wie wir auszurufen pflegen : „O Herr!“ Dieser Umstand war nun hinreichend, um sich den schweren Tadel der Wahaby zuzuziehen. Die Türken besuchen außerdem das Grab des Propheten, und zwar mit derselben Devotion[2], wie sie den großen Tempel zu Mekka zu besuchen pflegen; und wenn sie vor dem Grabe standen, stammelten sie ihre gottlosen Anrufungen, wie sie von den Wahaby genannt werden, sodass sie also die schmähliche Benennung, Ungläubiger, vollkommen verdienen, indem sie dem Allmächtigen eine niedere Gottheit beigesellen.

Ein ähnlicher Respekt wird vielen Scheikhs, oder Heiligen erwiesen, nur nicht in solchem Umfange. In jeder türkischen Stadt sind mehrere Gräber und fast in jedem Dorfe wenigstens ein Grab irgendeines berühmten Heiligen, der sich durch sein exemplarisches Leben (nämlich große Verschmitztheit, oder Heuchelei) und manchmal durch große Gelehrsamkeit den Ruf der Heiligkeit erworben hat. Ihre Landsleute hielten es für Pflicht, durch Errichtung kleiner Gebäude über ihren Gräbern mit Kuppeln, oder gewölbten Dächern das Andenken derselben zu ehren, und besonders an diesen Orten zu beten, in dem Glauben, dass der Heilige dadurch umso mehr bewogen werde, ihre Gesuche vor dem Throne des Allmächtigen zu unterstützen. Die Mohammedanischen Heiligen werden in der Tat ebenso hoch verehrt, als diejenigen der katholischen Kirche, und sollen ebenso viele Wunder tun, als letztere. Die Bewohner des Morgenlandes hängen in hohem Grad an ihren Scheikhs, und in jeder Stadt und Dorf ist jährlich an einem bestimmten Tag ein Fest zu Ehren des besonderen Patrons.[3]

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[1] Die erste Abhandlung führt den Titel ‚Beschreibung des Paschalik von Bagdad‘ und die andere steht in den Fundgruben des Orients. Burckhardt’s Reisen.

[2] auch: Hingabe, Ergebenheit, Demut

[3] Ehedem wurden Heilige in der Wüste ebenso sehr, als in den Städten verehrt. Die Beduinen waren gewohnt, zu Ehren des Heiligen Opfer zu schlachten und sein Grab auf eine Weise zu besuchen, die von den heidnischen Opfern vor Götzenbildern nicht sehr verschieden ist.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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