Scharia in Deutschland

von Yahya ibn Rainer
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Man stelle sich mal vor, salafitische Imame aus dem ganzen Bundesgebiet würden gemeinsam einen Verein gründen, den sie z.B. Salafitische Imamkonferenz Deutschland nennen, und würden in diesem Gremium Urteile fällen und diverse Dienstleistungen für die Muslime in Deutschland anbieten. Natürlich laden sie auch regelmäßig islamische Großgelehrte aus Saudi-Arabien ein und veranstalten mit ihnen Konferenzen und Sitzungen. Sie haben dann natürlich auch eine Internetpräsenz und würden ihre Aufgaben und Ziele dort folgendermaßen erklären:
Das Ziel dieser Imamkonferenz ist es, sich um das islamische Leben und den Erhalt und die Weiterentwicklung von islamischer Tradition und Scharia in Deutschland zu kümmern, wobei vor allem die Zuwanderung der Muslime aus den arabischen Ländern eine besondere Aufmerksamkeit erfahren soll.

Was würde dieser Verein und diese Aussage in der deutschen Öffentlichkeit auslösen? Der Erhalt und die Weiterentwicklung der Scharia in Deutschland Zuwanderung von Muslimen aus arabischen Ländern? Glaubt mir, wenn die Schmierblätter à la BILD, SPIEGEL, WELT und Co. das spitzkriegen, dann brennt die Luft und der Zeitungswald rauscht.

Geben wir noch einen drauf: Diese Imamkonferenz bringt jährlich eine Halal-Liste raus, auf der die Imame erklären was verboten ist und wieso. Auf dieser Liste steht auch, dass Muslime keine Speisen von Nichtmuslimen annehmen sollten. Die Begründung sieht dann etwa so aus:

Unsere Salaf haben den Muslimen aus zwei Gründen verboten, Speisen zu essen, die von einem Nichtmuslim gekocht wurden, und zwar:
1. Aus der Befürchtung, dass der Nichtmuslim dem Muslim verbotene Speisen servieren könnte und
2. Um eine zu große Annäherung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu vermeiden, die zu Mischehen führen könnte. […]

Produkte, die in einer Fabrik hergestellt wurden (wie Konserven) sind erlaubt, weil der Verdacht einer Annäherung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen hier nicht besteht, schließlich ist der Nichtmuslim, der die Konserve hergestellt hat, dem Konsumenten gänzlich unbekannt.

Das wäre doch noch ein schönes Sahnehäubchen. Nach solchen Äußerungen kann man zusätzlich zur Scharia- und Überfremdungskeule auch noch die Integrationskeule freudig schwingen.
 
Aber wieso schreibt der Ibn Rainer sowas?
Diese Imamkonferenz gibt es nicht, und somit auch nicht die oben genannten Forderungen und Urteile, oder doch?
Ja, es gibt sie. Jedoch heißt der Verein nicht Salafitische Imamkonferenz Deutschland, sondern Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland. Ihr Ziel ist natürlich nicht der Erhalt bzw Weiterentwicklung islamischer Tradition und Scharia, sondern jüdischer Tradition und Halacha. Die Zuwanderung, die sich ihrer besonderen Aufmerksamkeit sicher sein kann, kommt auch nicht aus den arabischen Ländern, sondern aus den Staaten der ehemaligen UdSSR. Die Liste heißt nicht Halal-Liste, nämlich Kosher-Liste. Und die Annährung, die ihnen zu vermeiden gilt, ist nicht die Annährung an Nichtmuslime, sondern die Annährung an Nichtjuden.
Für diejenigen, die mit den Begriffen wie Orthodox, Rabbiner und Halacha nichts anfangen können, hier eine kurze Erklärung:
  • Orthodoxe Juden sind solche Juden, die sich streng nach den Gesetzen ihrer Religion richten, und zwar nach Thora und Talmud und den Urteilen ihrer Weisen (vorangegangene große jüdische Gelehrte).
  • Rabbiner sind Vorbeter und Vorsteher der jüdischen religiösen Gemeinden (Synagogen), also in etwa das, was für unsere Moschee-Gemeinden die Imame sind.
  • Halacha ist die jüdische Scharia. Zu diesem Thema habe ich schon einige Artikel verfasst:

Halacha – Die jüdische „Scharia“ + Die Geltungskraft des jüdischen Rechts (Halacha) + Todesstrafen in der Halacha + Ehefähigkeit in der Halacha + Die Erbfolge in der Halacha + Zeugen im halachischem Recht + Sklaven/Knechte im jüdischen Recht (Halacha)

Die Internetseite der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD) lautet http://www.ordonline.de . Dort kann man sich über die Richtigkeit meiner Angaben vergewissern.

  • HIER>> gibt es die Aussage über die Ziele der ORD.
  • HIER>> gibt es den Auszug aus der Kosher-Liste (Erklärung zur Kashrut), wo die Annährung zwischen Juden und Nichtjuden als „zu vermeiden“ bezeichnet wird.

Interessant ist auch, dass es hier in Deutschland ein Beit Din gibt, also ein halachisches Rabbinatsgericht. Die ORD schreibt dazu folgendes:

Das jüdische Rabbinatsgericht nimmt unter den weltlichen Gerichten einen besonderen Platz ein. Die weltlichen Gerichte folgen dem menschlichen Gesetz, wohingegen das Rabbinatsgericht auf dem Gesetzessystem göttlicher Herkunft basieren. […] Ein Bet Din ist eine halachische (jüdisch rechtliche) Instanz, welche aus mindestens drei Rabbinatsrichtern besteht. […] Seit 2004 existiert ein Bet Din in Zusammenarbeit der ORD mit dem Oberrabbinat in Israel. Dies gewährleistet automatisch, dass die Tätigkeiten und Beschlüsse des Bet Din vom Oberrabbinat in Israel anerkannt werden. […] In diesem Rahmen wurden in den vergangenen sechs Jahren ca. rund 200 Fälle behandelt.

(http://www.ordonline.de/der-beit-din-aufgabe-und-funktion)

Der Grund, wieso ich das hier thematisiere, ist nicht etwa eine empfundene Ungerechtigkeit von Seiten der orthodoxen Juden. Ich bin soweit tolerant und habe kein Problem damit, dass orthodoxe Juden ihre Traditionen und Gesetze in Deutschland pflegen und befolgen. Die Ungerechtigkeit liegt hier beim deutschen Establishment. Die Mehrheit der Bevölkerung und der Politik stehen  den Muslimen und ihren Traditionen und Gesetzen äusserst feindlich gegenüber . Schon allein das Wort Scharia lässt ein Gewitter an Pressemeldungen und eine große Welle des Volkszorns entstehen. Salafisten, ihre bärtigen Imame und ihre bärtigen Großgelehrten aus Saudi-Arabien werden verunglimpft und kriminalisiert.

Aber die ebenso bärtigen orthodoxen Rabbiner können offen ihre jüdische Tradition und Scharia fordern, können ihre Abneigung gegen Nichtjuden offenbaren und die Zuwanderung ihrer Glaubensgenossen aus den ehemaligen Staaten der UdSSR propagieren und sogar eine Paralleljustiz etablieren, doch niemanden interessiert das.

Und das ist nicht alles. Wenn ihre bärtigen orthodoxen Großrabbiner aus Israel der Konferenz einen Besuch abstatten, dann kommt sogar die Bundeskanzlerin vorbei um die ultra-religiösen Rabbiner zu begrüßen.

Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Wer sich mal ein wenig näher mit der jüdischen Halacha auseinandersetzt, der wird schnell bemerken, dass es sich um eine Gesetzgebung handelt, die (für Laien) sehr der islamischen Scharia ähnelt. Es macht also für einen christlich-abendlänischen Europäer keinen Unterschied, ob ein Muslim von der Scharia oder ein Jude von der Halacha redet.

Sogar einigen orthodoxen Juden scheint die Heuchlerei der deutschen Politik im Bezug zu den Juden schon aufgefallen zu sein. So konnte ich auf dem Blog einer deutschen orthodoxen Jüdin kürzlich folgendes lesen:

Angela Merkel hat die jüdischen Gemeinden in Deutschland als positives Beispiel für eine gelungene Integration gewürdigt. Die Bundeskanzlerin war halt noch nicht dabei, wenn Rabbiner  am Ende von Jom Kippur in von Steuergeldern finanzierten deutschen Synagogen die israelische Nationalhymne anstimmen. Oder wenn am Schabbat das Gebet für den Staat Israel und die israelische Armee gesprochen wird. Ich habe da nichts dagegen, aber ich kann auch echt kein Bekenntnis zum deutschen Staat im Sinne einer “gelungenen Integration” erkennen.  Und dass mir jetzt niemand mit der besonderen Bedeutung des Staates Israel für Juden kommt. Dass es auch anders geht, sieht man in Großbritannien: dort betet man in den Synagogen für die Queen. Ich kann das politisch korrekte Gefasel unserer Politiker nicht mehr hören.

(http://mittendrin.wordpress.com/2010/10/30/gelungene-integration)

Ich auch nicht liebe Anna, ich auch nicht.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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