Buchauszug: Hasspredigt in Karl Mays Orientzyklus

Im Jahre 1881 erschien in der Zeitschrift Deutscher Hausschatz in Wort und Bild der 1. Teil des heute berühmt-berüchtigten Orientzyklus von Karl May. Dieser 1. Teil trug den Namen Durch Wüste und Harem (1895 umbenannt in Durch die Wüste) und beginnt gleich zu Anfang mit einem Dialog zwischen den zwei Hauptprotagonisten dieses Glanzstücks früher deutscher Trivialliteratur.

Zum einen der Held des Abenteuers, Kara ben Nemsi, der deutsche Orientreisende und Alter Ego Karl Mays: Eine Persönlichkeit, wie sie zur damaligen Zeit des deutschen Kaiserreichs nur alllzu gern mit der Heimat in Verbindung gebracht wurde. Ein vorbildlicher deutscher Christ eben. Schön, groß und kräftig gebaut, mutig, stark, schlau, uneigennützig, gerecht, ehrlich, barmherzig und prinzipientreu.

Und zum anderen sein Diener und ständiger Begleiter, Hadschi Halef Omar (mit vollem Namen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah), den zu beschreiben ich einfach mal Karl Mays Alter Ego überlasse:

„Halef war ein eigentümliches Kerlchen. Er war so klein, daß er mir kaum bis unter die Arme reichte, und dabei so hager und dünn, daß man hätte behaupten mögen, er habe ein volles Jahrzehnt zwischen den Löschpapierblättern eines Herbariums in fortwährender Pressung gelegen. Dabei verschwand sein Gesichtchen vollständig unter einem Turban, der drei volle Fuß im Durchmesser hatte, und sein einst weiß gewesener Burnus, welcher jetzt in allen möglichen Fett- und Schmutznuancen schimmerte, war jedenfalls für einen weit größeren Mann gefertigt worden, so daß er ihn, sobald er vom Pferde gestiegen war und nun gehen wollte, empornehmen mußte, wie das Reitkleid einer Dame. Aber trotz dieser äußeren Unansehnlichkeit mußte man allen Respekt vor ihm haben. Er besaß einen ungemeinen Scharfsinn, viel Mut und Gewandtheit und eine Ausdauer, welche ihn die größten Beschwerden überwinden ließ. Und da er auch außerdem alle Dialekte sprach, welche zwischen dem Wohnsitze der Uëlad Bu Seba und den Nilmündungen erklingen, so kann man sich denken, daß er meine vollste Zufriedenheit besaß, so daß ich ihn mehr als Freund denn als Diener behandelte.“

Diese Roman-Konstellation ist gewissermaßen ein Abziehbild der damaligen politischen Verhältnisse. Kara ben Nemsi – der deutsche Christ – und Hadschi Halef Omar – der osmanische Muslim –, zwar treue Verbündete und Freunde, aber ungleich und mit klarer Dominanz auf deutsch-christlicher Seite. Das ehemals ruhmreiche Osmanische Reich war damals nur noch als der Kranke Mann am Bosporus bekannt und musste sich sogar von seinem engsten Verbündeten so manche Erniedrigung gefallen lassen.

Und so enthält auch dieser Orientzyklus – für uns Muslime – so einige Stellen, die nur sehr schwer (bis garnicht) zu ertragen sind, und deshalb – bei aller Spannung und sonstiger Realitätsnähe – am besten überlesen werden sollten. Einige ganz harte Stellen fielen wohl schon den gleichen zeitgenössischen Literaturfälschern zum Opfer, die bereits fleissig dabei sind andere klassische literarische Werke von ihren „Negern“ und „Zigeunern“ zu befreien, denn in der modernen Hörspielfassung (die ich höchstpersönlich besitze) fehlen eindeutig die überheblichen Herbheiten die in der Erstauflage noch zu lesen sind.

Um aber nicht zuweit abzuschweifen, möchte ich gern auf den Dialog zurückkommen, den ich oben bereits erwähnte. Ohne irgendwelche Umschweife oder Einführungen, beginnt dieser gesamte 6bändige Orientzyklus eben mit diesem Dialog zwischen Kara ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, denn letzterer war nach Aussage des Kara ben Nemsi „ein fanatischer Muselmann und hatte aus Liebe zu mir den Entschluß gefaßt, mich zum Islam zu bekehren“.

So kommen wir nun also in den Genuss einer grandiosen Dawa. Grandios zumindest wenn man bedenkt, dass Karl May eigentlich ein Kleinkrimineller mit einem Talent zum Schreiben und einer blühenden Phanatasie war, der bis zum damaligen Zeitpunkt noch keinen einzigen Schritt auf orientalischem Boden tat.

Ich übergebe also das Wort unserem „Bruder“ Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, gewissermaßen zu einer Hasspredigt anno 1881:

Hadschi Halef Omar: „Und ist es wirklich wahr, Sihdi, daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?“

Kara ben Nemsi: „Ja.“

Hadschi Halef Omar: „Effendi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen, daß sie nach ihrem Tode in die Dschehenna kommen, wo der Teufel wohnt; aber dich möchte ich retten vor dem ewigen Verderben, welches dich ereilen wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Lisan, zum heiligen Zeugnisse, bekennst. Du bist so gut, so ganz anders als andere Sihdis, denen ich gedient habe, und darum werde ich dich bekehren, du magst wollen oder nicht.“ […]

Hadschi Halef Omar: „Weißt du, Sihdi, wie es den Giaurs nach ihrem Tode ergehen wird?“

Kara ben Nemsi: „Nun?“

Hadschi Halef Omar: „Nach dem Tode kommen alle Menschen, sie mögen Moslemim, Christen, Juden oder etwas Anderes sein, in den Barzakh.“

Kara ben Nemsi: „Das ist der Zustand zwischen dem Tode und der Auferstehung?“

Hadschi Halef Omar: „Ja, Sihdi. Aus ihm werden sie alle mit dem Schall der Posaunen erweckt, denn el Jaum el aakbar, der jüngste Tag, und el Akhiret, das Ende, sind gekommen, wo dann alles zu Grunde geht, außer el Kuhrs, der Sessel Gottes, el Ruhh, der heilige Geist, el Lauhel mafus und el Kalam, die Tafel und die Feder der göttlichen Vorherbestimmung.“

Kara ben Nemsi: „Weiter wird nichts mehr bestehen?“

Hadschi Halef Omar: „Nein.“

Kara ben Nemsi: „Aber das Paradies und die Hölle?“

Hadschi Halef Omar: „Sihdi, du bist klug und weise; du merkst gleich, was ich vergessen habe, und daher ist es jammerschade, daß du ein verfluchter Giaur bleiben willst. Aber ich schwöre es bei meinem Barte, daß ich dich bekehren werde, du magst wollen oder nicht!“ […]

Hadschi Halef Omar: „Ja, Dschennet, das Paradies, und Dschehenna, die Hölle, müssen auch mit bleiben, denn wohin sollten die Seligen und die Verdammten sonst kommen? Vorher aber müssen die Auferstandenen über die Brücke Ssirath, welche über den Teich Handh führt und so schmal und scharf ist, wie die Schneide eines gut geschliffenen Schwertes.“

Kara ben Nemsi: „Du hast noch Eins vergessen.“

Hadschi Halef Omar: „Was?“

Kara ben Nemsi: „Das Erscheinen des Deddschel.“

Hadschi Halef Omar: „Wahrhaftig! Sihdi, du kennst den Kuran und alle heiligen Bücher und willst dich nicht zur wahren Lehre bekehren! Aber trage nur keine Sorge; ich werde einen gläubigen Moslem aus dir machen! Also vor dem Gerichte wird sich der Deddschel zeigen, den die Giaurs den Antichrist nennen, nicht wahr, Effendi?“

Kara ben Nemsi: „Ja.“

Hadschi Halef Omar: „Dann wird über jeden das Buch Kitab aufgeschlagen, in welchem seine guten und bösen Thaten verzeichnet stehen, und die Hisab gehalten, die Musterung seiner Handlungen, welche über fünfzig tausend Jahre währt, eine Zeit, welche den Guten wie ein Augenblick vergehen, den Bösen aber wie eine Ewigkeit erscheinen wird. Das ist das Hukm, das Abwiegen aller menschlichen Thaten.“

Kara ben Nemsi: „Und nachher?“

Hadschi Halef Omar: „Nachher folgt das Urteil. Diejenigen mit überwiegenden guten Werken kommen in das Paradies, die ungläubigen Sünder aber in die Hölle, während die sündigen Moslemim nur auf kurze Zeit bestraft werden. Du siehst also, Sihdi, was deiner wartet, selbst wenn du mehr gute als böse Thaten verrichtest. Aber du sollst gerettet werden, du sollst mit mir in das Dschennet, in das Paradies, kommen, denn ich werde dich bekehren, Du magst wollen oder nicht!“ […]

Kara ben Nemsi: „Und was harrt meiner in eurer Hölle?“

Hadschi Halef Omar: „In der Dschehenna brennt das Nar, das ewige Feuer; dort fließen Bäche, welche so sehr stinken, daß der Verdammte trotz seines glühenden Durstes nicht aus ihnen trinken mag, und dort stehen fürchterliche Bäume, unter ihnen der schreckliche Baum Zakum, auf dessen Zweigen Teufelsköpfe wachsen.“

Kara ben Nemsi: „Brrrrrrr!“

Hadschi Halef Omar: „Ja, Sihdi, es ist schauderhaft! Der Beherrscher der Dschehenna ist der Strafengel Thabek. Sie hat sieben Abteilungen, zu denen sieben Thore führen. Im Dschehennem, der ersten Abteilung, müssen die sündhaften Moslemim büßen so lange, bis sie gereinigt sind; Ladha, die zweite Abteilung, ist für die Christen, Hothama, die dritte Abteilung, für die Juden, Sair, die vierte, für die Sabier, Sakar, die fünfte, für die Magier und Feueranbeter, und Gehim, die sechste, für alle, welche Götzen oder Fetische anbeten. Zaoviat aber, die siebente Abteilung, welche auch Derk Asfal genannt wird, ist die allertiefste und fürchterlichste; sie wird alle Heuchler aufnehmen. In allen diesen Abteilungen werden die Verdammten von bösen Geistern durch Feuerströme geschleppt, und dabei müssen sie vom Baume Zakum die Teufelsköpfe essen, welche dann ihre Eingeweide zerbeißen und zerfleischen. O, Effendi, bekehre dich zum Propheten, damit du nur kurze Zeit in der Dschehenna zu stecken brauchst!“  […]

Kara ben Nemsi: „Dann komme ich in unsere Hölle, welche ebenso entsetzlich ist, wie die eurige.“

Hadschi Halef Omar: „Glaube dies nicht, Sihdi! Ich verspreche dir beim Propheten und allen Kalifen, daß du in das Paradies kommen wirst. Soll ich es dir beschreiben?“

Kara ben Nemsi: „Thue es!“

Hadschi Halef Omar: „Das Dschennet liegt über den sieben Himmeln und hat acht Thore. Zuerst kommst du an den großen Brunnen Hawus Kewser, aus welchem hunderttausende Selige zugleich trinken können. Sein Wasser ist weißer als Milch, sein Geruch köstlicher als Moschus und Myrrha, und an seinem Rande stehen Millionen goldener Trinkschalen, welche mit Diamanten und Steinen besetzt sind. Dann kommst du an Orte, wo die Seligen auf golddurchwirkten Kissen ruhen. Sie erhalten von unsterblichen Jünglingen und ewig jungen Houris köstliche Speisen und Getränke. Ihr Ohr wird ohne Aufhören von den Gesängen des Engels Israfil entzückt und von den Harmonien der Bäume, in denen Glocken hängen, welche ein vom Throne Gottes gesendeter Wind bewegt. Jeder Selige ist sechzig Ellen lang und immerfort grad dreißig Jahre alt. Unter allen Bäumen aber ragt hervor der Tubah, der Baum der Glückseligkeit, dessen Stamm im Palaste des großen Propheten steht und dessen Aeste in die Wohnungen der Seligen reichen, wo an ihnen alles hängt, was zur Seligkeit erforderlich ist. Aus den Wurzeln des Baumes Tubah entspringen alle Flüsse des Paradieses, in denen Milch, Wein, Kaffee und Honig strömt.“

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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