Das Nennen der Ethnie oder Religion eines Täters gehörte auch um 1930 schon zum guten journalistischen Ton

«Mit Entsetzen findet der jüdische Leser Deutschlands in den Tageszeitungen der letzten Monate ab und zu Berichte, je nach Einstellung des Blattes mehr oder weniger ausführlich, über Unrechttaten, von Juden begangen:

In Paderborn vergeht sich ein Jude an einer Hausangestellte und schafft auf grässlichste Art den Leichnam der Verstorbenen hinweg (So nach mildesten Darstellung.)

In Gelsenkirchen erschießt ein Jude einen anderen, dessen Söhne und zuletzt sich selbst. Als Grund wird Eifersucht angegeben.

In Heppenheim wird ein Jude wegen Sittlichkeitsverbrechen verhaftet.

In einer ganzen Reihe von Orten werden auch Juden der Devisenschiebungen überführt.

Depotunterschlagungen von Juden werden berichtet.

Es könnte die traurige Chronik noch durch eine ganze Zahl ähnlicher Fälle erweitert werden.

Mit stärkstem Nachdruck unterstreicht die judenfeindliche Presse solche Delikte, um an ihnen die Verworfenheit des Judentums zu demonstrieren: zum Teil führt sie sie sogar auf angeblichen Geheimlehren des Talmuds und Schulchan Oruch zurück, die jedem Juden – selbst dem, der sich taufen lässt – in Fleisch und Blut übergegangen seien und auf Grund deren er gar nicht mehr anders handeln könne.

Wie stellt sich der Jude, wie stellen sich die jüdischen Zeitungen (auch die orthodoxen) dazu?

Man weist entrüstet darauf hin, daß solche Vorkommnisse gleichermaßen bei Nichtjuden sich ereignen; daß man von der Schlechtigkeit einzelner Juden, die eben nur Ausnahmen G.s.D. [Gott sei Dank, Anm. d. Red.] sind, nicht auf die Qualität aller Juden schließen dürfe; daß solche Geschehnisse in schreiendstem Gegensatz zu den Lehren des Talmuds und Schulchan Oruch stehen.

Alle diesen Entgegnungen sind unbedingt richtig, aber sie genügen nicht. Der Judenfeind sieht nur die Tatsache: so handelt ein Jude.»

Quelle: Rabbiner Dr. J. Merzbach in „NACHALATH ZWI – Eine Monatschrift für Judentum in Lehre und Tat“, herausgegeben vom Vorstand der Rabbiner-Hirsch-Gesellschaft 2. Jahrgang 5692 1931/32 S.278-284

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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