Wenn Deutsche ständig meckern, murren und lamentieren

von Yahya ibn Rainer

Das häufige Meckern, Murren und Lamentieren im kleinen Kreis (z.B. unter Gleichgesinnten) oder für-sich allein, ist eine bekannte Eigenart des allgemeinen Deutschen. Man kann es nervig finden und kleinkariert, aber es erfüllt einen gewissen Zweck.

Für uns Deutsche – im protestantischen Norden etwas mehr, im katholischen Süden etwas weniger – ist Zurückhaltung eine wichtige, ja geradezu angeborene Tugend. Man ist nicht gern laut, versucht möglichst Rücksicht auf seine Mitmenschen zu nehmen und scheut den offenen Konflikt.

Allerdings kann auch der allgemeine Deutsche das Leben in der Gemeinschaft nicht entbehren und stößt deshalb, besonders in der Großstadt recht häufig, auch auf Mitmenschen, die diese Tugenden nicht (mehr) im wünschenswerten Umfang beherrschen oder gar mit einer komplett anderen Wesensart geschlagen sind.

Dort ist man dann mit Menschen konfrontiert, die laut(er) sind, in gewissen Situationen keine Rücksicht nehmen, bestimmte Normen nicht einhalten, und dies alles womöglich noch in einer fremden Sprache und im Grenzfall sogar höchst temperamentvoll (oder aggressiv). Das ringt einem Deutschen, egal wie viel Zurückhaltung er auch zu wahren versucht, viel Disziplin ab und erzeugt einen gewissen Rückstau an Emotionen.

Und da auch wir keine Maschinen sind, sondern empfindungsfähige Geschöpfe, brauchen diese aufgestauten Emotionen ein Ventil. Manchen, wirklich disziplinierten Deutschen, reicht dabei ein leichtes Kopfschütteln, ein dezentes Augenrollen oder ein leises Schnalzen mit der Zunge. Andere jedoch müssen etwas mehr tun, um den Druck abzuführen. Sie meckern, murren und lamentieren dann, allerdings erst, wenn sie allein sind oder im Kreise Gleichgesinnter.

Ist der Mitteilungsdruck einmal besonders groß, dann nimmt man sogar in Kauf, dass umstehende Fremde Kenntnis vom eigenen Unmut nehmen, wobei man allerdings niemals jemanden persönlich anspricht, sondern einen gepflegten Monolog führt.

Im Zeitalter des Internets und der sozialen Netzwerke droht diese persönliche Zurückhaltung jedoch ein Ventil gefunden zu haben, das zu purer Enthemmung führt. Der allgemeine Deutsche übt zwar immer noch seine Zurückhaltung im öffentlichen Raum, jedoch entlädt er nun seinen Frust (meist anonym) auf Facebook und Twitter. Dort findet er nicht nur haufenweise Gleichgesinnte, sondern auch politische Agitatoren, die dem deutschen Meckerhannes eine große Plattform bieten und seinen Frust geschickt als Propaganda nutzen.

Was früher ein Garant für ein friedliches und zivilisiertes Zusammenleben war, ist heute zu einer schlimmen Waffe verkommen, die den gesellschaftlichen Frieden gefährdet. Die so kostbare Zurückhaltung führt den gesellschaftlichen Zustand in der realen Welt vollkommen ad absurdum, wenn man im Vergleich dazu die enthemmte Frustration der digitalen Welt betrachtet.

Zwei Dinge sind meines Erachtens wichtig, damit sich dieser Zustand wieder etwas entspannt.

  1. Die Menschen müssen wieder lernen sich in Zurückhaltung zu üben. Ich weiß, dass das Gerede von Integration einigen schon aus dem Halse heraushängt, aber in dieser Sache sehe ich eine Bringschuld bei all denen, die dem deutschen Wesen gegenüber eher abgeneigt sind (was nicht nur Ausländer sein müssen, sondern häufig auch sehr eigensinnige oder linke Individualisten).
  2. Lasst die Nazi-Keule mal häufiger stecken. Es ist einfach ein Fakt, dass meckernde Deutsche, besonders wenn sie sich über Ausländer beschweren (was ja nicht per se immer zu Unrecht sein muss), gern als Nazis, Rassisten oder ähnliches beschimpft werden. Das kann wirklich sehr frustrierend sein und trägt letztendlich nicht zu einer Besserung des Verhältnisses bei.

Ich, für meinen Teil, zelebriere meine Zurückhaltung geradezu. Ich empfinde es sogar als äußerst befriedigend, mit nahezu uneingeschränkter Ruhe und Empathie den öffentlichen Raum zu durchschreiten und möglichst niemandem zur Last zu fallen. Probiert es einfach mal aus und euch wird gewahr, dass sogar der kleinkarierteste Meckerhannes in der Lage sein wird, euch ein zufriedenes Lächeln zu schenken.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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