Die zeitgenössischen Verteidiger des Tasawwuf im Internet

von Yahya ibn Rainer

Viele zeitgenössische Verteidiger des Tasawwuf (die wir fälschlicherweise bisher immer als „Sufis“ bezeichneten), nehmen mehr und mehr die Unsitten unerzogener „Jungsalafisten“ an, die sie eigentlich vorgeben, wegen eben dieser Unsitten und schlechten Charakterzüge, abzulehnen.

Die sozialen Netzwerke sind voll mit Muslimen, die mit ihren Turban-Profilbildern und Sufi-Sheikh-Zitaten den Eindruck erwecken, sie wären auf dem Weg des Tasawwuf, der ihre Herzen reinigt, ihr Nafs bändigt und ihre Zungen zügelt.

Was ich aber häufig an Beiträgen und Kommentaren lese, ist nichts anderes, als das Spiegelbild eines unerzogenen „Jungsalafisten“ im Sufigewandt. Ein Spiegelbild, welches sich in Beleidigungen und Schmähungen ebenso ergeht, wie in Belustigungen und Provokationen.

Ist es tatsächlich der Weg eines Sufis, eines Zahid, der sich in Tazkiya und Tarbiya übt, den Leuten mit genau den Methoden zu entgegnen, welche man selbst an ihnen tadelnswert findet?

Wenn man den Tasawwuf als etwas Gutes betrachtet, etwas, was mit Liebe, charakterlicher Güte und Brüderlichkeit in Verbindung gebracht wird, was ist dann die Methode hierzu einzuladen?

Und mit „Jungsalafisten“ meine ich nicht nur die Jugendlichen, sondern auch diejenigen, die sich im religiösen Leben nicht weiterentwickeln. In dieser Riege gibt es durchaus auch Herren im gehobenen Alter, auf beiden Seiten. Hier der überhebliche Salafi mit Kufiya auf der Hohlbirne und dort den alten Herren im DEFA-kleine-Muck-Outfit und grünem Riesenturban.

Den wahren Zahid und wahren Tasawwuf findet man im Internet ebenso wenig, wie den wahren Salafi und das wahre Salafitum. Vielmehr, so sehe ich es mittlerweile, bringt einen das religiöse Leben in den sozialen Netzwerken von den wahren Tugenden der Rechtschaffenden ab. Es schafft eine Fassade und befriedigt den Wunsch nach unkomplizierter (weil sozial unabhängiger) Gemeinschaft, aber es macht die Folgen der gesellschaftlichen Atomisierung nicht rückgängig.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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