Betreff: Die Welt versinkt im Zorn – Auf den Spuren eines ganz alten Gefühls (Radio-Podcast)

Interessanter Radio Podcast:

NDR Info – Forum am Sonntag: Die Welt versinkt im Zorn – Auf den Spuren eines ganz alten Gefühls
https://www.ndr.de/info/sendungen/forum_am_sonntag/Die-Welt-versinkt-im-Zorn,sendung806494.html

Kleiner Auszug:

In Großbritannien haben viele einen Brexit nicht für möglich gehalten, in Österreich eine rechte Koalition und in Deutschland die Gewinne der AfD. Bei vielen bleiben Verwunderung, wenn nicht Überraschung und Erschrecken, über die neuen zornigen Bewegungen.

Das sagt nach Ansicht des Philosophen Peter Sloterdijk viel über unsere Gesellschaft aus. Zorn sei mit der Entstehung der griechischen Stadtstaaten, der Polis, immer weiter zurückgedrängt worden. Für affektgeleitete Handlungen sei im engen geregelten Zusammenleben der Menschen immer weniger Platz gewesen, so Sloterdijk.

Zorn sei domestiziert und abgeschwächt worden, in Formen wie den Mannesmut, die griechische Andreía. Später habe es sich in die noch harmlosere Form der Beherztheit verwandelt.

Spöttisch scharf stellt Sloterdijk in seinem Buch „Zorn und Zeit“ fest:

»Gerade für die Deutschen ist dieses Thema nicht ohne Reiz, denn sie bringen seit 1945 eine Sonderausgabe von Beherztheit heraus. Die viel gelobte Zivilcourage, die Magerstufe des Mutes für Verlierer, mit der man einer politisch zaghaften Bevölkerung die Freuden der Demokratie näher bringt.«

Von mir zum Podcast:

Zum Thema Zorn/Wut/Hass gibt es auch aus islamrechtlicher bzw. -ethischer Sichtweise einiges zu berichten. So wird bspw. berichtet, dass einst ein Mann den Propheten – Allah segne ihn und gewähre ihm Heil – mit den Worten aufforderte »Empfehle mir etwas«, worauf der Prophet erwiderte »Zürne nicht«. Dieser Mann wiederholte seine Forderung mehrmals, aber der Prophet antwortete darauf stets gleich. (Buchari)

Immerhin sagt Allah der Erhabene sinngemäß in seinem Quran » ... und diejenigen, die ihre Wut unterdrücken und die den Menschen verzeihen … « [3:134] und an anderer Stelle » … und diejenigen, die dann vergeben, wenn sie zornig sind … «[42:37].

»Der Starke ist nicht derjenige, der im Ringkampf stark ist, sondern derjenige, der sich selbst beherrscht, wenn er zornig ist.« (Buchari, Muslim), ist ein weiterer Ausspruch des Propheten – Allah segne ihn und gewähre ihm Heil -.

Dies ist eine hervorragende Grundlage und Orientierung für das eigene Handeln.

Aber Zorn/Wut/Hass hat auch einen Sinn, einen Nutzen für den Menschen; wer den Podcast aufmerksam verfolgt, wird es heraushören. Und auch die Gelehrten des Islams sind zu dieser Einsicht gelangt. So ist von Imam asch-Schafii (gest. 820 n.Chr.), dem Namensgeber der großen anerkannten Rechtsschule, überliefert, dass er dereinst schrieb »Wer zum Zorne gereizt wird und nicht zürnt, der ist ein Esel; wer um Verzeihung angefleht wird und sie nicht gewährt, der ist ein Tyrann. – Wer nicht zürnt über Unterdrückung, der ist auch nicht dankbar gegen den den, der ihm Gutes tut.«.

Man muss sich nicht alles bieten lassen oder womöglich sogar die andere Wange hinhalten. Manchmal brauchen wir unseren Zorn, unsere Wut, zum Antrieb, um Ungerechtigkeiten anzuklagen oder zu beseitigen.

Der große hanbalitische Gelehrte Ibn Qudāma al-Maqdisī (gest. 1223 n. Chr.) schrieb in seinem Mukhtasar Minhādsch al-Qāsidīn: »Bezüglich des Zornes gibt es unter den Menschen dreierlei Arten – die eine Art übertreibt, eine weitere Art übertreibt in die andere Richtung und die dritte Art hat das richtige Mittelmaß. Das Übertreiben ist deswegen schlecht, weil dadurch dem Menschen die Ausübung des Verstandes und der Religion abhanden kommen. Das Übertreiben in die andere Richtung ist jedoch auch zu verurteilen, weil dem Menschen in diesem Fall Energie in der Auseinandersetzung und die pflichtgemäße Eifersucht abhanden kommen.«

Und so lernen wir, dass eigentlich alles eine goldene Mitte hat, die je nach Umstand von Zeit zu Zeit seine ganz eigene Definition findet. Wir sind also nicht aus unserer ureigenen Verantwortung für unser Handeln entlassen und müssen neben den Primärquellen unserer Religion immer auch den Verstand und die Vernunft als Regulator einschalten.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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