Buchauszug: Ibn Khaldun – Die Besteuerung und Ursachen ihrer unterschiedlichen Höhe

In diesem kurzen »VIDEO« hört man, wie Ronald Reagan - der 40. Präsident der USA (von 1981-1989) - den großen muslimischen Gelehrten Ibn Khaldun zitiert. Folgend könnt ihr nun den gesamten Abschnitt in deutscher Übersetzung lesen, der auf diese kurze Phrase in der Muqaddima folgt.

«Wisse, daß die Besteuerung am Beginn der Dynastie aus wenigen Anteilen große Einnahmen erbringt. Am Ende der Dynastie bringen viele Anteile nur geringe Einnahmen.

Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, daß die Dynastie, wenn sie sich an die Religion hält, nur die im religiösen Gesetz festgelegten Zahlungen erhebt, d. h. die Armensteuer, die Grund- und die Kopfsteuer. Dies sind nur wenige Steueranteile, denn der Anteil der Armensteuer, bezogen auf das Vermögen, ist bekanntlich gering. Ebenso verhält es sich bei der Armensteuer auf Getreide und Vieh, desgleichen bei der Kopf- und Grundsteuer und allen anderen vom religiösen Gesetz festgelegten Zahlungsverpflichtungen. Sie sind Festwerte, die nicht überschritten werden können.

Wenn sich die Dynastie auf Obmacht und Zusammenhalt (asabiya) gegründet hat, so ist sie zu ihrem Anbeginn notwendigerweise dem nomadischen Dasein verhaftet, wie es zuvor bereits festgestellt wurde. Das nomadische Dasein bedeutet Güte, Edelmut, Demut, Achtung vor dem Hab und Gut der anderen und Abneigung davor, dieses zu erlangen, es sei denn in Ausnahmefällen. Deshalb ist der Umfang der individuellen Auflage und des Anteils, die zusammen die Steuersummen ausmachen, gering. Wenn nun die Anteile sowie die Auflagen der Untertanen gering sind, so gehen diese mit Tatkraft und Freude an die Arbeit.

Gedeihliche Betätigung nimmt an Vielfalt und Umfang zu, da wegen der geringen Zahlungsverpflichtungen Zufriedenheit herrscht. Wenn nun die gedeihlichen Tätigkeiten vielfältiger werden, wächst auch die Zahl jener Auflagen und Steueranteile, so daß sich die aus ihnen zusammensetzenden Steuereinnahmen erhöhen.

Wenn nun die Dynastie an der Macht bleibt und ein Herrscher auf den anderen folgt, werden diese kultivierter. Das Spezifikum des nomadischen Daseins und der Einfachheit sowie deren Wesensart, wie Bescheidenheit und Zurückhaltung, vergehen dann. Tyrannisches Königtum und seßhaftes Dasein, welches Kultiviertheit bewirkt, prägen sich zugleich aus. Die Angehörigen der Dynastie gewöhnen sich Eigenarten an, die der Verfeinerung (des Lebensstils) entsprechen, und ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse werden vielfältiger, da sie sich dem Wohlstand und Luxus hingeben.

So erhöhen sich die Auflagen und Steueranteile für die Untertanen, Landarbeiter, Bauern und alle anderen Zahlungspflichtigen. Man läßt den Umfang jeder Auflage und jedes Anteils gewaltig anwachsen, um das Steuereinkommen zu steigern. Man belegt Handelswaren mit Gebühren und erhebt sie an den Toren der Stadt, wie wir später ausführen werden. Die Abgaben steigen schrittweise in dem Maße an, wie auch die luxuriösen Gepflogenheiten der Dynastie und die Vielfalt der Bedürfnis.se sowie die hierfür notwendigen Aufwendungen allmählich zunehmen, bis die Zahlungsverpflichtungen schließlich schwer auf den Untertanen lasten. Sie werden zu einer als verbindlich betrachteten Gewohnheit, da ja die Zunahme immer nur Schritt für Schritt erfolgte und niemand mehr weiß, wer die festgelegte Norm (einst) überschreiten ließ und davon der Verursacher war. Das belastet die Untertanen in ihrer gedeihlichen Betätigung, da die Menschen angesichts des geringen Nutzens die Hoffnung verlieren, wenn sie Gewinn und Zahlungsverpflichtungen sowie Ertrag und Nutzen gegenüberstellen.

So ziehen sich viele von gedeihlicher Tätigkeit gänzlich zurück. Das Gesamtsteueraufkommen sinkt daraufhin, da diese Anteile der Steuern geringer werden.

Wenn der Rückgang der Steuereinnahmen erkannt wird, erhöht man mitunter den Umfang der Auflagen und sieht dies als Ausgleich für den Schwund an. Schließlich erreichen jede Auflage und jeder Steueranteil ihr höchstmögliches Maß, jenseits dessen es weder Nutzen noch Gewinn gibt, da dann die Aufwendung für eine gedeihliche Betätigung zu groß und die Zahlungsverpflichtungen zu hoch sind und so der dabei erhoffte Nutzen nicht mehr erreicht werden kann. Die Gesamtsumme sinkt weiter, während der Umfang der Steueranteile und Auflagen weiterhin steigt, da man glaubt, mit letzteren die Gesamtsumme ausgleichen zu können. Schließlich erlebt die Zivilisation einen Niedergang, da die Hoffnungen auf eine gedeihliche Betätigung zerstört wurden. Das fällt auf die Dynastie zurück, da sie es ist, die aus einer gedeihlichen Betätigung Nutzen zieht.

Wenn du das verstanden hast, weißt du, daß es einer gedeihlichen Betätigung am meisten förderlich ist, das Ausmaß der Steuerabgaben für die schöpferisch Tätigen so weit wie möglich zu begrenzen. Dann streben die Menschen nach gedeihlicher Tätigkeit, da sie sicher sein können, am Gewinn auch teilzuhaben. Allah der Erhabene, gepriesen sei er, der Beherrscher aller Dinge. Alles liegt in seiner Hand.»

(Ibn Khaldun, Buch der Beispiele – Die Einführung / al-Muqaddima, übersetzt von Mathias Pätzold, Reclam-Verlag Leipzig ©1992, Seite 154-156)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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