Dialog erfordert eine Basis und diese Basis ist Ehrlichkeit. Jedes andere Fundament ist nicht dauerhaft tragfähig und erweist sich jedweder Aufrichtigkeit als abträglich. Und zur Ehrlichkeit gehört auch, dass man Vorwürfe und Kritiken nicht kategorisch abstreitet, sondern sie annimmt, auch wenn man sich davon angegriffen fühlt.
Nach jetzt über 10 Jahren als Muslim sehe ich große dialogische Defizite innerhalb der muslimischen Gemeinde in Deutschland – und auch aus ihr heraus. Kritik von innen wird oft als Beleidigung oder Nestbeschmutzung aufgefasst und Vorwürfe von außen als Angriff oder kategorisch als Islamophobie oder Islamhass.
Ein Thema, bei dem mir das besonders auffällt, ist das Thema Judenhass. Noch als Jungkonvertit brachte mich der Vorwurf zur Weißglut, dass es unter Muslimen ein Problem mit Antisemitismus gäbe. Wie denn auch, dachte ich mir, der Prophet Mohamed war doch selbst ein Semit.
Die Realität jedoch ist eine andere.
Die Abneigung gegen Juden ist unter uns Muslimen mindestens(!) ebenso verbreitet wie unter Christen, Agnostikern und Atheisten hierzulande. Allerdings wirkt die Mahnung der Shoah unter vielen Muslimen nicht annähernd so eindrucksvoll wie bei uns Nachfahren der Täter, was dazu führt, dass man seine Abneigung viel eher zu zeigen geneigt ist.
Auch wenn die Besatzungspolitik des Staates Israel als Grund für diese Abneigung vorgeschoben wird, so ist dies aber keine Entschuldigung für einen allgemeinen Judenhass, ebenso wie die Politik von Saudi-Arabien oder der Türkei kein Grund für antimuslimischen Hass sein darf.
Aufgefallen ist mir, dass der Antisemitismus unter Muslimen nicht parallel mit einer religiösen Frömmigkeit zunimmt, sondern dass besonders unter weltlich orientierten Muslimen der Antisemitismus eine stark rassistische Färbung hat, teils mit Bezügen zu altem Verschwörungsglauben, wie er u.a. bei den Nazis gepflegt wurde. Teile dieser Ideologie sickern freilich auch in frömmere Teile der muslimischen Gemeinschaft ein, sind dort aber längst nicht so gegenwärtig.
Die Abneigung gegen Juden in religiösen Zirkeln manifestiert sich eher in Überlieferungen, die entweder aus der Frühzeit des Islams berichten, als bspw. jüdische Stämme die Friedensabkommen mit den Muslimen hintergingen, oder aus eschatologischen Visionen des Propheten, die von Zuständen berichten die den Weltuntergang einleiten. Diese Zustände beinhalten auch eine Endschlacht der Religionen, in die auch Muslime und Juden eintreten werden.
Meiner persönlichen Ansicht nach werden diese Überlieferungen von politischen Akteuren missbraucht und haben keinerlei islamrechtliche Beweiskraft für ein feindschaftliches Vorgehen gegen Juden, besonders heute und hier in Deutschland. Weder können wir die heutigen Juden für die fehlende Vertragstreue der jüdischen Stämme von vor 1400 Jahren verantwortlich machen, noch haben die Steine und Bäume begonnen mit uns Muslimen zu sprechen, um uns zu verraten wo unsere Feinde sich zu verstecken pflegen, wie es eschatologische Überlieferungen berichten.
Das Islamrecht, und da besteht kein Zweifel, zählt die Juden (neben den Christen) zu den Glaubensgemeinschaften die uns am nächsten sind, die die meisten Propheten mit uns teilen, deren Fleisch uns zu essen und deren Frauen uns zu heiraten erlaubt sind. Und im direkten Vergleich mit dem Christentum – hier und heute – ist uns das Judentum näher, ja theologisch sogar näher als jede andere Religionsgemeinschaft auf dieser Welt.
Dass es einen explizit „islamischen“ Antisemitismus gibt, bestreite ich vehement, aber es gibt unbestreitbar einen Antisemitismus (also Judenhass) unter Muslimen, der sich vom Judenhass anderer Gemeinschaften und Völker nicht großartig unterscheidet, sondern im Grunde die selben Mythen zum Anlass für diesen Hass nimmt.
Gerade an mir erkenne ich, wie sehr die Annahme des Islams vor über 10 Jahren meine Stellung zum Judentum und seinen Bekennern positiv geändert hat. Aus dem linksradikalen Milieu stammend trat ich anfangs immer noch ideologisch befangen in die Praxis meines Glaubens ein. Die Art und Weise, mit der ich das Judentum, die Juden allgemein und den Staat Israel in einen Topf warf, brachte ich von außen mit in die religiöse Praxis hinein. Erst als ich begann den Islam außerhalb des welt- und staatspolitischen Kontextes zu verstehen und zu leben, konnte ich mich den anderen Religionen gegenüber ideologisch unvoreingenommen öffnen.
Ich bin zu der festen Überzeugung gelangt, dass nur die wenigsten Muslime und Juden tatsächlich eine Ahnung davon haben wie ähnlich das Judentum dem Islam ist, mit seiner semitischen Religionssprache als auch in seinen Geboten, Verboten und Riten. Nachdem der Universalgelehrte Prof. Émile Louis Victor de Laveleye in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals das muslimische Bosnien bereiste, schrieb er 1886 in seinem Reisetagebuch «Die Balkanländer» ganz beiläufig „Der Islam, welcher eigentlich mit dem Judenthume auf eins hinausläuft, umschliesst eine vortreffliche Gesundheits- und Sittenlehre“. und de Laveleye war nicht der einzige unbefangene Wissenschaftler der diesem Eindruck erlag.
Die politische Situation in Israel/Palästina hat einen Schleier über das Auge vieler Muslime und Juden gelegt was den Glauben des jeweils anderen angeht. Zudem wirkt eine theologische Nähe zweier Religionsgemeinschaften sich nicht derart aus, dass man sich tatsächlich annähert, sondern die jeweiligen Lehrtraditionen sehen sich eher bemüßigt in diesem Fall die Unterschiede deutlicher herauszustellen, damit Ritus und Gesetz nicht verwässern oder sich gegenseitig vermischen.
Aus diesem Grund sehe ich auch die Notwendigkeit, dass gerade die orthodoxen Strömungen in einen Dialog treten, denn hier sehe ich auch am ehesten den Standpunkt die Unterschiede zu respektieren und zugunsten des Dialoges keine unnötigen Eingeständnisse zu formulieren, die im Grunde der eigenen Religion zuwider stehen würden. Dies versuchte ich bereits in meinem Blogbeitrag Betreff: Unterschied zwischen orthodoxem und liberalem interreligiösen Dialog zu veranschaulichen.
Dieser muslimisch-jüdische Dialog ist nötig, und vor allem ist es nötig, dass wir in unseren eigenen Gemeinschaften die Vorbehalte und Vorurteile offensiv angehen, die Ängste und Vorbehalte der anderen Seite jedoch ernst nehmen, sensibel damit umgehen und sachlich konstruktiv zu beseitigen versuchen.
Die Angst vieler Juden in Deutschland vor der Zunahme von gewalttätigen Übergriffen durch muslimische Flüchtlinge und Immigranten mag für viele Muslime übertrieben wirken, vor allem im Hinblick auf Polizei-Statistiken die antisemitische Straftaten eher im rechtsextremen Milieu verorten, müssen aber ernst genommen werden, ebenso wie unsere Ängste vor gewaltsamen Übergriffen gegen Frauen mit muslimischem Kopftuch, auch wenn diese vermutlich eher nicht von Juden begangen werden.
Ängste sind nicht immer rational und Statistiken bilden nicht immer die Realität wieder.
Ich zumindest habe mir fest vorgenommen vermehrt den Kontakt zu Juden und jüdischen Autoritäten zu suchen, mich mit ihnen intensiv auszutauschen, zu lernen, zu lehren, Gemeinsames und Trennendes besser zu betonen, Hilfe anzubieten und Vorurteile abzubauen, als Deutscher und als Muslim. Ich hoffe, dass ich nicht der einzige bin, der diese Notwendigkeit hier in Deutschland sieht.