Ozan Zakariya Keskinkilic & Ármin Langer – Der Orientalismus als Legitimationsfolie für die Herrschaftsrechtfertigung Europas

»Dazu gehört auch, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus zusammenzudenken, statt Ungleichheiten zu hierarchisieren und marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen. Nicht ohne Grund bezeichnete schon Edward W. Said, Mitbegründer der Postkolonialen Theorie, den Orientalismus als «merkwürdigen, geheimen Beteiligten des europäischen Antisemitismus» («a strange, secret sharer of Western anti-Semitism»).

Unter dem Orientalismus verstand Said jene diskursiv-politische Herrschaftsstrukturen über den «Orient» und seine Bewohner*innen, die Wissen und Macht verknüpft, «die Anderen» im Zuge der kolonialen Unterwerfung erfindet, sie «orientalisiert», von sich weist, dämonisiert und entfremdet.

Der Orientalismus sage weit mehr über seinen Produzenten, «Europa», aus, als über die vermeintlich Anderen. Er funktioniere als Legitimationsfolie, um «unser» positives Selbstbild in Abgrenzung zum «Rest» geltend zu machen und ihre Beherrschung zu rechtfertigen.

Dass auch das europäische Judentum von der kolonialen Metapher des «Orient» betroffen ist, zeigt die Geschichte des Antisemitismus nur zu gut. «Es wird immer Juden geben, die nichts sind als deutsch redende Orientalen», lautete das antisemitische Urteil des deutschen Historikers und Publizisten Heinrich von Treitschke. […]

Die «jüdisch-orientalische Zivilisation» wurde der «christlich-abendländischen» als unterlegen entgegengesetzt, Jüdinnen*Juden wurden aufgrund ihrer «orientalischen Natur» als Angehörige einer integrationsunfähigen «südlichen Rasse» stigmatisiert.

Einige jüdische Intellektuelle  und Künstler*innen im 19. Und 20. Jahrhundert eigneten sich dem «Orient» hingegen positiv an, wie Rohde bemerkt. Diese «Selbst-Orientalisierung» in Literatur, Kunst bis hin zur Architektur zeuge von einer vielfältigen Selbstverortung, «mittels derer sie den ambivalenten Status der Juden in Deutschland als zwar formell gleichberechtigte, aber weiterhin als Fremde exotisierte bzw. abgelehnte Minderheit verhandelten».

Umso gewagter, wenn nicht höhnisch, erscheint die neuerdings heraufbeschworene Einheit des «jüdisch-christlichen Abendlandes». Die Metapher ist beliebt, um Jüdinnen*Juden zur Abwehr von Muslim*innen zu instrumentalisieren. Sie vereinnahmt das jüdische zum politischen Spiel, will eine positive Rückbesinnung auf Deutschland und Europa garantieren und kaschiert zudem den Antisemitismus in den eigenen Reihen.«

(Ozan Zakariya Keskinkilic & Ármin Langer, Fremdgemacht & Reorientiert || jüdisch-muslimische Verflechtungen, Verlag Yilmaz-Günay Berlin ©2018, Seite 13 f)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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